LawickMüller, 2000
Friederike van Lawick und Hans Müller leben und arbeiten in Berlin
Galerie Patricia Dorfmann, Paris
Egbert Baqué Contemporary Art, Berlin
perfectlysupernatural
Regina Michel
Was ist es, das den Blick des Betrachters erregt, auf sich lenkt und mitzieht und an dem Anblick ergötzen läßt? … Ziemlich allgemein wird behauptet, dass ein Wohlverhältnis der Teile zueinander und zum Ganzen, und zusätzlich eine schöne Färbung, die sichtbare Schönheit ausmacht; schön sein bedeute, …, symmetrisch sein, Maß in sich haben …
(Plotin)1
Das antike Griechenland gilt als Wiege der europäischen Kultur. Die Griechen sind es, die erstmals über Konzepte wie Individuum und Demokratie öffentlich nachdenken. Sie vollziehen als Erste den Schritt von der konkreten zur idealen, von der seinsverbundenen zur abstrakten Form – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst und der Ethik. „Wir stehen hier einer vollkommen neuen Idee der Kunst gegenüber; sie ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sie ist Zweck und Ziel in sich,“2 führt Arnold Hauser in seiner Sozialgeschichte der Kunst und Literatur aus. Die griechischen Götterbilder, denen die ideale Schönheit lange Zeit vorbehalten ist, sind eingebunden in den religiösen Kult. Seit dem 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. ist ihr Sinn und Zweck aber auch die Wiedergabe des idealen menschlichen Körpers, die Interpretation seiner Schönheit. Grundlage ist die Annahme, dass Schönheit als Idee der Natur innewohnt, in Form einer inneren Ordnung und Harmonie. Das Gesetz, das die Schöpfung durchdringt, ist nach Ansicht griechischer Philosophen wie Platon, Pythagoras oder Plotin als Maß und Zahl fassbar. Der Begriff der Schönheit ist wie derjenige der Idee Teil der Kosmogonie.3
Künstler sind naturgemäß fasziniert von der Suche nach der Schönheit. So kennt der antike Bildhauer einen Kanon, einen Maßstab, der das beste Proportionsmaß für den idealen Körper festlegt. Die Idee der messbaren Schönheit greifen Künstler in der Renaissance wieder auf. Albrecht Dürer beschäftigt sich in vier Büchern über die Proportion intensiv mit dem menschlichen Idealmaß. In minutiösen Proportionsstudien und mittels mathematischer Berechnungen sucht er die Schönheit als solche zu ermitteln. Die Idee der Schönheit, der Perfektion, die der Schöpfung innewohnt, hat im Menschen schon früh den Wunsch nach seiner eigenen Perfektion geweckt und beschränkt sich dabei nicht – wie in der Kunst – auf die äußere Form.
Der Wunsch, einen neuen, besseren Mensch zu schaffen, der die Grundlage für eine bessere Gesellschaft, einen idealen Staat, für ein goldenes Zeitalter sein sollte, zieht sich wie ein roter Faden durch die Kulturgeschichte des Abendlands. Aber: Zu allen Zeiten gibt es auch Stimmen, die das Streben des Menschen nach seiner eigenen Perfektionierung in Frage stellen, als unzulässigen Eingriff in die Schöpfung sehen. Schon in der Antike warnen Schriftsteller wie Sophokles, Aischylos oder Euripides in ihren Dramen vor Hybris, dem anmaßenden, frevelhaften Übermut des Menschen, der sich in Verblendung über die von den Göttern gesetzten Schranken hinwegzusetzen versucht und deshalb von Nemesis gestraft wird. Im Mittelalter ist Hochmut eine der Todsünden.
Schöner als die Natur erlaubt
In dem Projekt perfectlysupernatural setzt sich das Künstlerpaar LawickMüller mit dem alten Traum des Menschen, sich selbst neu zu schaffen und zu perfektionieren, und der ihm innewohnenden Gefahr auseinander. Einem Traum, der sich, wie die beiden meinen, in der aktuellen Obsession vom perfekten Körper und vom Supermenschen mit erweiterten intellektuellen Fähigkeiten fortsetzt: „Unsere Kultur und unsere Geschichte sind durchdrungen von Obsessionen der geistigen, spirituellen, ideologischen, moralischen aber auch physischen Erneuerung des Menschen. Das eben zu Ende gegangene Jahrhundert versuchte den Übermenschen durch ideologischen Terror zu erzwingen. Spätestens seit der nationalsozialistischen Rassenideologie hat die Idee vom verbesserten Menschen die Unschuld endgültig eingebüßt. Doch das Phantasma des Neuen Menschen lebt weiter in den populären Diskursen über die Möglichkeiten der Biotechnologie und der künstlichen Intelligenz.“ Die scheinbar greifbar nahen Möglichkeiten, den Körper genetisch zu perfektionieren, das Gehirn mittels implantiertem Chip zu entgrenzen, werden von Friederike van Lawick und Hans Müller als Allmachtsphantasien und Omnipotenzwünsche erkannt. Sie wollen den Körper- und Jugendkult genauso in Frage stellen wie die fortgesetzte Faszination des Hehren, Großen und Mächtigen.
Halb Gott, halb Mensch
Für die Portraitreihen perfectlysupernatural haben LawickMüller das Bild eines griechischen Gottes, eines Apollon, einer Aphrodite oder einer Athena mit Portraits von verschiedenen realen Menschen verschmolzen. Erstaunlich! Auch noch heute, nach fast 2500 Jahren, greift das griechische Ideal auf den ersten Blick. Jedes einzelne Portrait ist schön und entspricht durchaus dem heutigen Schönheitsideal. Die Gesichtszüge sind ebenmäßig, von geradezu klassischer Schönheit. Die erste Irritation entsteht durch den Ausdruck der Augen. Sie sind seltsam leer. Distanziert, unberührt und dabei doch voller Melancholie ist der Blick in eine objektlose Ferne gerichtet, kennt kein Gegenüber. Die wunderschönen, jungen Gesichter sind maskenhaft, strahlen Unnahbarkeit, ja Kälte aus, vielleicht auch die Einsamkeit der Halbgötter.
Verstärkt wird die erste Irritation durch die Aneinanderreihung von Portraits verschiedener Menschen, die alle dem gleichen göttlichen Vorbild entstammen. Die Ähnlichkeit, der Verlust von Individualität und von Lebendigkeit tritt in der Serie der typisierten Gesichter überstark in den Vordergrund. Hinter dem – auf den ersten Blick – Anmutigen verbirgt sich etwas zutiefst Beunruhigendes. Ist es nur die Ähnlichkeit, die den Bildnissen ihre auf den ersten Blick, wenn auch sterile, ja kalte, so doch vorhandene Schönheit raubt?
Das Streben nach Schönheit zielt letztlich auf Einzigartigkeit, die Synthese von Individualität und Perfektion. Schöner sein, das Auge des Betrachters auf sich ziehen, sich herausheben aus der Masse. Keines der Bildnisse vermag den Blick des Betrachters festzuhalten. Ist der Apoll Kostas schöner als der Apoll Stefan? Die Schönheit des Einzelnen wird durch die serielle Reihe relativiert. Assoziationen werden wach: Sind sie sich nicht einfach nur ähnlich? Beängstigend ähnlich? Gleichen Sie sich nicht wie ein Ei dem anderen? Sind sie am Ende gar geklont?
Schöne, neue Welt
Es gibt keine Außenseite des Seienden mehr, sofern man darunter Oberflächen versteht, die die wahre Natur des Objekts den Blicken verhüllt. Die Erscheinung verbirgt nicht das Wesen, sondern sie enthüllt es: sie ist das Wesen.
(Jean Paul Satre)
Der Traum von perfekter Schönheit und ewiger Jugend ist alt und wieder ganz aktuell. Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhundert erfährt der Körper eine neue Wertschätzung, die an das antike Ideal anknüpft. Schönheit und Jugend werden im Kult um Mega-Models wie Claudia Schiffer, Linda Evangelista oder Kate Moss glorifiziert; zugleich ist dieser eine Hommage an den internationalen Konsens über Schönheit. Im Zeitalter des Narzißmus ist körperliche Perfektion gefragt. Fitness wird zur Ware, der Körper auch. Dabei ist das Ziel des Körperkults kein natürlicher, sondern ein idealisierter Körper, der in Fitnesskursen durch Muskeltraining modeliert oder mittels Schönheitschirurgie völlig neu gestaltet wird.
Der moderne Mensch lebt im Zeitalter seiner genetischen Manipulierbarkeit. Seit Jahren wissen die Wissenschaftler, welche Gene die Körpergröße oder die Muskelmasse beeinflussen. Aus embryonalen Stammzellen soll sich gar jede Art von Zellen züchten lassen. Doch das verhindert in Deutschland das Embryonenschutzgesetz. Manche Politiker und auch Wissenschaftler fürchten den rasenden Fortschritt des Machbaren. Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms öffnen sich auch dem Körperkult neue, ungeahnte Dimensionen. Erstmals rückt der Menschheitstraum von idealer Schönheit und ewiger Jugend in greifbare Nähe. Welche Statur soll Ihr Kind einmal haben? Welche Farbe sollen die Haare oder Augen haben, welche Form die Nase? Wie hoch soll der Intelligenzquotient sein?
Was wir heute beobachten, ist ein unmerkliches Hinübergleiten der Gesellschaft in die ethische Akzeptanz von Herrschaft und Kontrolle über das menschliche Leben. Wollen wir tatsächlich Gott spielen? … Von der Hybris abgesehen, … Was soll den Transfer der nötigen DNS an einen wohlhabenden Interessenten verhindern, der ein besonders schönes, flinkes oder kluges Kind möchte?
(Daniel Callahan)4
Die Möglichkeit der genetischen Perfektionierung erhält durch die Auseinandersetzung mit den Portraitreihen von LawickMüller eine neue, beängstigende Dimension. Welche Auswirkungen könnte die Entschlüsselung des menschlichen Genoms haben, in einer Zeit, in der immer mehr Menschen einen immer ähnlicheren Idealtypus anstreben? Werden uns in nicht mehr ferner Zukunft immer häufiger Menschen begegnen, die sich erstaunlich ähneln, sich nur noch durch kleine Variationen unterscheiden? Welche Persönlichkeitsmerkmale werden angestrebt? Gibt der seltsam kalte, objektlose Blick der Halbgötter, die LawickMüller geschaffen haben, einen ersten Vorgeschmack auf die perfektionierten, schöneren, intelligenteren neuen Menschen?
Zu schön, um Mensch zu sein?
LawickMüller haben bei der Auswahl ihrer menschlichen Modelle sicherlich bereits den möglichen Gesamteindruck der Portraitreihen im Auge gehabt. Sie haben junge und schöne Menschen gewählt, um die Irritation des Betrachters durch die Gleichzeitigkeit von Schönheit und beunruhigender Ähnlichkeit zu forcieren. Wie die Fotografin Inez von Lamswerde, die Homunculi, groteske Kreuzungen aus Männer und Frauen morpht, die den Anspruch auf Schönheit nicht erheben, setzt sich das Künstlerpaar mit den Gefahren der Gentechnologie auseinander. Doch das Projekt perfectlysupernatural von LawickMüller soll lediglich Fragen aufwerfen. Die Antworten soll und darf der Rezipient selbst finden. Er wird angeregt, sich mit der Faszination der Schönheit einerseits und dem Unbehagen der übergroßen Ähnlichkeit andererseits, auseinanderzusetzen. Er kann den vielfältigen Assoziationen Raum lassen, den vielen immanenten Fragestellungen nachspüren, die die Bilder aufwerfen. Sollte ideale Schönheit und Perfektion den Göttern vorbehalten bleiben? Leben wir auf der Schwelle zu einem neuen goldenen Zeitalter, in dem Alter und Krankheit dank den Errungenschaften der modernen Wissenschaft immer mehr der Vergangenheit angehören?