Hans Pfrommer, 2000
geboren 1969 in Stuttgart; lebt und arbeitet in Stuttgart und Bachem
Emmanuel Walderdorff Galerie, Köln
DENKANSTÖSSE
oder:
Immer noch besser als mit Prinzessin Stephanie Schuhe Einkaufen gehen
Regina Michel
Ein Wort, ein Satz – : aus Chiffern steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu ihm hin.
Ein Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich –
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.
(„Ein Wort“, Gottfried Benn)
Hans Pfrommer setzt sich in seinem Werk mit den verschiedenen Facetten des Phänomens „Wirklichkeit“ auseinander. Er bietet dem Betrachter neue, ungewohnte Perspektiven auf die von den Medien vermittelte Welt, auf vergangene, gegenwärtige und künftige Wirklichkeit. Immer wieder thematisiert er die Fragwürdigkeit und Beliebigkeit von Information im Medienzeitalter. Mit Humor, gelegentlich beißender Ironie, illustriert und kommentiert Pfrommer die postmoderne Medienwirklichkeit und führt dem Betrachter so die Grotesken des ganz alltäglichen Lebens vor Augen. Als Inspirationsquelle dient dem 1969 in Stuttgart geborenen Maler aktuelle Berichterstattung über das Zeitgeschehen. Er findet seine Anregungen im Boulevardklatsch über die Reichen und Schönen ebenso wie in Wissenschaftsmagazinen und Nachrichtensendungen. Aber auch Lebenshilfe- und Benimmbücher aus den 50er und 60er Jahren sind für Pfrommer ein willkommener Fundus.
Heim und Welt
„Die von uns erfahrene Wirklichkeit wird zum Konglomerat aus unterschiedlich authentischen und unterschiedlich subjektiven Informationsquellen, dessen genaue Zusammensetzung kaum mehr zurückzuverfolgen ist. Dieses interessante Phänomen möchte ich aufgreifen und veranschaulichen, indem ich das Synthetische unseres Erlebens durch Kombination einander entgegengesetzter Erlebnisquellen im Bild überspitzt darstelle“, erklärt Pfrommer seine Intention. So wie in den Medien die Berichterstattung über das jüngste Scheidungsdrama eines Prominenten und die Werbung für das neueste Deodorant den gleichen Raum einnehmen wie Nachrichten und Bilder über Kriegsgräuel oder Katastrophen, findet in Pfrommers Bildwelt Relevantes und Irrelevantes, Reales und Surreales scheinbar gleichberechtigt Aufnahme.
Besonders augenfällig ist dies in „Heim und Welt“. Pfrommer hat den Bildausschnitt so gewählt, dass der Betrachter den Standpunkt des Handelnden einnimmt, zum Betroffenen wird. Als habe er es sich gerade im Fernsehsessel gemütlich gemacht, fällt sein Blick über Salamibrot und Bierflasche hinweg auf die Nachrichtensendung im Fernsehen. Pfrommer konterkariert diese heimische Idylle. Das abstürzende Flugzeug auf dem Bildschirm zeigt, dass Untergang und Zerstörung – von den Medien rund um die Uhr frei Haus geliefert – jederzeit in die heile Welt der Wohnzimmeridylle einbrechen können. Gleichzeitig konfrontiert der Künstler den Betrachter mit gängigen Konsumgewohnheiten, die zwischen Salamibrot und Nachrichten aus aller Welt keinen Unterschied machen. Die kleine, auf den ersten Blick so harmlos, ja banal erscheinende Alltagssequenz löst Befremden und Irritation aus. Mit sanften Widerhaken verankert sich das Bild in Bewusstsein und Unterbewusstsein des Betrachters, lässt ihn nicht mehr los, regt zum Nachdenken an.
Ikonen der Postmoderne
Hans Pfrommer ist ein Meister der leisen Töne. Er erzählt seine hintergründigen Bildgeschichten mit sparsamen Mitteln. Die im traditionellen Malmittel Öl gemalten Tafelbilder sind klein, selten größer als DIN A 4. Die Farbigkeit ist delikat, der Hintergrund monochrom in zarten Pastelltönen gehalten. Er gibt keinen Hinweis auf den Bildkontext, die Motive scheinen von ihrer Umgebung isoliert. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird ganz auf das zentrale Bildmotiv fixiert, auf die bewusst vereinfacht dargestellte, naiv stilisierte, scheinbar alltägliche Genreszene. Doch das Vertraute zeigt sich in den Tafelbildern und subtilen Bleistiftzeichnungen fremd, rätselhaft, unwirklich, ja absurd.
Um seine geistreichen Geschichten zu transportieren, bedient sich Hans Pfrommer kunsthistorischer Zitate, überfrachtet die Szenen mit Symbolen und Metaphern, die er aus dem Zusammenhang reißt und immer wieder neu kombiniert. So erinnern die kleinformatigen Ölgemälde an mittelalterliche Andachtsbilder. Hier wie dort ist das zentrale Motiv aus einem größeren Erzählzusammenhang gelöst, ist der begleitende „erbauliche“ Text fester Bestandteil der Bildwirkung und appelliert an die Gefühle des Betrachters. Hier wie dort verlangt das kleine Format, dass der Betrachter näher tritt, genauer hinsieht, andächtig verweilt und die Bilder auf sich wirken lässt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Parallelen wirken Pfrommers Tafelbilder wie Ikonen der Postmoderne.
Das Leben ist grotesk
Hans Pfrommer macht es dem Rezipienten nicht leicht. Mit den überlangen Bildtiteln – die mit ironisch gebrochenem Pathos, pseudoaufklärerischem Impetus oder dokumentarischer Nüchternheit formuliert sind – treibt Pfrommer das Verwirrspiel mit Zitaten, Symbolen und Metaphern auf die Spitze. Bildtitel und Bildinhalt klaffen auseinander, scheinen sich häufig sogar zu widersprechen. Diese Diskrepanz zieht den Betrachter in ihrer Bann. Sie lässt Raum für Assoziationen und verschiedene Deutungsversuche. Warum trägt eines der Selbstporträts den Titel: „Immer noch besser als mit Prinzessin Stephanie Schuhe einkaufen gehen“? Was hat die Darstellung des Künstlers beim Füttern eines Pandabären mit dem Schuheinkauf von Prinzessin Stephanie zu tun? Das Rätsel um den Zusammenhang zwischen dargestellter Szene und Begleittext muss jeder Betrachter letztlich für sich selbst lösen.
Die Frage nach der Bildaussage und nach dem Standpunkt des Künstlers bleibt offen. Die Arbeiten von Hans Pfrommer sind vor allem Denkanstöße. Sie fordern den Betrachter auf, sich mit der ihn umgebenden Welt, mit den Widersprüchen und Grotesken des modernen Lebens auseinander zu setzen.
Eine Erklärung von Welt will Pfrommer nicht leisten. Ganz im Gegenteil! Versuche, Wirklichkeit erklären zu wollen, sie auf griffige Formeln reduzieren zu wollen, sind ihm suspekt. Dies wird in seinen subtilen Bleistiftzeichnungen deutlich. Pfrommer karikiert in ihnen Erklärungsversuche von Welt, wie sie sich in Lebenshilfe-, Abenteuer- und Benimmbücher aus den 50er und 60er Jahren finden. Er lässt sich von den – im Rückblick – oft unfreiwillig komisch wirkenden Abbildungen und Bildunterschriften inspirieren. Als Malgrund dient der Buchdeckel. Er gibt die Szenen akribisch genau wieder, reißt sie jedoch aus dem Kontext, verfremdet sie, indem er sie mit unerwarteten Symbolen konfrontiert. Pfrommer spielt mit der Spannung zwischen Kritik und Klischee und hinterfragt so Werte, Normen und Verhaltensweisen.
Beobachter seiner selbst und seiner Zeit
Hans Pfrommer ist Beobachter und Kommentator, Zeitzeuge und Zeitkritiker, Künstler und Philosoph – alles in einer Person. Das Turmatelier, in dem der Künstler während des Stipendiums der ZF-Kulturstiftung gelebt hat, kam ihm daher besonders entgegen. Hoch über den Dächern von Friedrichshafen konnte er die für den Beobachter notwendige Distanz einnehmen und war gleichzeitig mitten im Geschehen.
Denn: Pfrommer versteht sich nicht als überlegenen Beobachter. Er ist immer auch subjektiver Teil der Wirklichkeit, die er beschreibt. Das belegen die zahlreichen Selbstporträts, in denen sich der Künstler immer als Betroffenen darstellt.
Als tragischer Held manövriert er sich mit der heroischen Vergeblichkeit eines Sisyphos in Situationen, denen er nicht gewachsen ist, die von Beginn zum Scheitern verurteilt sind. Der Kampf mit der Tücke des Objekts im Bildnis „Schattenseiten der Gravitation I: Selbst, zu blöd zum Skifahren“ erinnert an den tragisch-komischen, verzweifelten Kampf eines Charly Chaplin mit der Maschine in „Modern Times“.
In „Selbst bei der Durchführung eines spannenden Experimentes mit vollkommen offenem Ausgang“ geht Pfrommer noch einen Schritt weiter. Wenn auch der Bildtitel noch Hoffnung suggeriert, so ist doch vollkommen klar, das Experiment muss scheitern. Der Skateboarder wird das Brett verfehlen! Der fatale Ausgang des Experimentes ist bereits im Bild angelegt: Obwohl der Skateboarder noch keine Verletzung zeigt, ist in der Halfpipe bereits eine Blutspur zu sehen. Im gleichen dunklen Blutrot prangt auf dem T-Shirt ein Palmwedel, in der christlichen Ikonographie Hinweis auf das Martyrium. Pfrommer zeigt sich selbst als modernen Märtyrer, gescheitert an einer Trendsportart.
Der Betrachter ist im Bild
Mit dem illusionslosen Blick des Beobachters fixiert Hans Pfrommer sich selbst, seine Zeit und seine Zeitgenossen. Er bildet Realitäten ab, beschreibt die Welt jedoch keineswegs in ihrem Sosein. Vielmehr sind seine Gemälde Metaphern, die über das Gezeigte hinausweisen. Sie sind Verdichtungen, Sichtbarmachungen philosophischer Exkurse. Sie führen dem Betrachter die Widersprüche vor Augen, mit denen der moderne Mensch tagtäglich konfrontiert ist. Letztlich spiegeln bereits die auf den ersten Blick absurden Bildtitel die Absurdität der postmodernen Existenz wider. Immer wieder provozieren die Pfrommerschen Arbeiten den Rezipienten zu Reflexionen über die ihn umgebende Welt. „Mein Betroffensein soll spürbar bleiben. Meinen persönlichen Standpunkt jedoch versuche ich, ebenso wie den Grad der Authentizität der behandelten Themen zu verschleiern. Indem sich der Betrachter die letztendlich unlösbare Frage nach diesem Standpunkt stellt, möchte ich ihn zu einer kynischen Infragestellung der Werte ermuntern“, bringt Pfrommer seine Intention auf den Punkt.
Es gehört zum Wesen der Kunst, die gesellschaftlichen, geschichtlichen und psychischen Probleme, welche zu unglaublich und zu unerkennbar sind, auf einer ästhetischen Ebene erfahrbar zu machen. Hans Pfrommer gelingt die höchst subtile Verschlüsselung des komplexen Erlebens von Welt in einer einfachen Bildsprache. Dieser hohe Grad der Verschlüsselung macht den ganz besonderen Reiz der kleinformatigen Tafelbilder und sensiblen Bleistiftzeichnungen aus. Denn es sind die offenen, die ungelösten Fragen, die im Gedächtnis haften bleiben, die uns nicht mehr loslassen. Es sind die Widersprüche, die unser Bewusstsein und Unterbewusstsein immer wieder beschäftigen, ob wir wollen oder nicht.