Norbert Bauer, 2007

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Presseartikel über Norbert Bauer
Kontextverschiebung
Aufschlagstelle Luna 2

geboren 1967 in Frankfurt am Main; lebt und arbeitet in Bremen


Vita
1992 – 1999
Studium Kunst, Politik, Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften, Universität Bremen
1995 – 1997
Unterricht bei Prof. W. Schmitz, Hochschule für Künste, Bremen
seit 2012
Lehrauftrag, Malerei und Installation, Institut für Kunst und Visuelle Kultur, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Preise und Stipendien (Auswahl)
2011
Berlin-Stipendium des Senators für Kultur Bremen
2007
Stipendium ZF Kunststiftung
2002 / 2004
Künstlerförderung durch das Land Bremen
Einzelausstellungen (Auswahl)
2015
Filter, Kunstfoyer, Oldenburg
2014
Mythos Detmold, Kooperation mit Ralf Tekaat, Galerie Vom Zufall und vom Glück, Hannover
2012
FLÜCHTIG, mit Marina Schulze, Galerie beim Steinernen Kreuz – Brigitte Seinsoth, Bremen
2009
Territorium, Stadtmuseum Hattingen
2007
Aufschlagstelle Luna 2, ZF Kunststiftung im Zeppelin Museum Friedrichshafen
2002
Missing-Links, Kunstraum Essen
Katalogtext

Kontextverschiebung

Regina Michel im Gespräch mit Norbert Bauer

RM: Norbert, Du überträgst mediale Bilddokumente in Malerei. Warum wählst Du Medienbilder als Ausgangsmaterial?

NB: An Medienbildern interessiert mich, dass sie mir als bereits vorhandenes Bild gegenübertreten. Die so genannte erste Realität, das was ich hier sehe, wenn ich aus dem Fenster schaue oder vor die Tür gehe, interessiert mich als Motiv nicht. Ich beschäftige mich mit Erscheinungen vermittelter Realität, mit Bildern, die schon alle möglichen Auswahl- und Bearbeitungsprozesse durchlaufen haben. Ich habe es also mit etwas Gestaltetem zu tun und reagiere darauf wiederum gestaltend.

RM: Was macht ein Motiv für Dich bildwürdig?

NB: Ein Motiv muss verschiedene Bedingungen erfüllen. Es sollte als Bild wirken, unabhängig vom Zusammenhang, in dem es mir begegnet, es muss also ein vom Kontext unabhängiges Potential beinhalten, dass ich herausarbeiten kann – oder aber, ein Motiv schließt an bereits vorhandene Themen an. Das kann ein inhaltlicher Bezug sein, es kann aber auch ein Bezug auf formaler Ebene sein. Es kann dabei vorkommen, dass ein Bild, nur deshalb ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit gerät, weil es in die Gesellschaft anderer Motive gelangt, die bereits als gemalte Bilder existieren oder wie Skizzen an meiner Atelierwand hängen.

RM: Welche Bildquellen dienen Dir als Fundus? Wie findest Du deine Motive?

NB: Unterschiedlich. Ein Weg ist das relativ regellose Suchen. Ein Motiv fällt mir beim Durchblättern in einer Zeitschrift auf oder vielleicht auch beim Fernsehen. Wenn ich bereits an einem Thema oder entlang eines Begriffs oder Gedankens arbeite, suche ich vielleicht auch gezielt nach einem Motiv oder einer bestimmten Situation, um eine Verbindung zwischen bereits vorhandenen Bildern herzustellen oder einen bestimmten Aspekt zu betonen.

Manchmal setzen Medienbilder auch selber Assoziations- oder Erinnerungsketten in Gang. Zum Beispiel ist mir, als ich mich mit einer „Terrorschick-Modestrecke“ aus dem Jahr 2001 beschäftigt habe, ein alter Film über die Punkband The Clash eingefallen, in dem in einer Schlüsselszene ganz ähnliche Motive vorkommen. Aus dieser Szene habe ich dann Material für eine Arbeit herausgezogen. Interessiert hat mich dabei vor allem die Verwendung von Symbolen und Zeichen unter ganz verschiedenen ästhetischen und politischen Vorzeichen.

RM: Das heisst, Du verwendest nicht nur Pressebilder, die reale Ereignisse abbilden, Du greifst auch immer wieder auf inszenierte Bilder zurück.

NB: Im ersten Zugriff sind diese inszenierten Bilder für mich manchmal sogar von größerem Interesse als Pressebilder, die noch einen – zumindest scheinbar – starken Rückbezug auf ein reales Ereignis haben. Die Auseinandersetzung mit der offensichtlichen und absichtsvollen Inszenierung von Bildern, beispielsweise im Film, ist eine ganz besondere. Für das Bild 1975 war ich acht habe ich Material aus der Verfilmung Die verlorene Ehre der Katharina Blum verwendet, die ich vor zwei Jahren zufällig wieder gesehen habe. Das hat natürlich schön zum Komplex „Terrorismus“ gepasst. Es war zuerst anstrengend, dann aber zunehmend faszinierend für mich, mit einer Filmästhetik konfrontiert zu werden, die auf den ersten Blick völlig aus der Zeit ist. Gleichzeitig habe ich aber gemerkt, dass mir diese Bildsprache und Ästhetik irgendwie vertraut sind. Das ist eine Form des Filmemachens, die in eine andere Zeit gehört, an die ich mich selbst aber noch erinnere. Solche mit der eigenen Biografie verwobenen Bilder zum Gegenstand erneuter Betrachtung zu machen, dabei nicht nur die Skurrilität wahrzunehmen, die sie mitunter aus heutiger Sicht haben, sondern sie zum Material zu machen, ist eine ganz andere Auseinandersetzung als die mit tagesaktuellen Pressebildern.

RM: Auch die Vorlage für die Arbeit Lichter hat, wenn man so will, einen Bezug zu Deiner Biografie, in diesem Fall zu Deinem Aufenthalt hier in Friedrichshafen. Die Vorlage hat die Webcam im Gondelhafen in Friedrichshafen geliefert. Es ist das erste Mal, dass Du ein Motiv mit einem so direkten Ortsbezug verwendest. Warum hast Du das Repertoire Deiner Vorlagen in Friedrichshafen erweitert?

NB: Der direkte Bezug besteht ja nur darin, dass ich zur selben Zeit in Friedrichshafen war. Aber ich habe ja bewusst ein Bild gewählt, für das meine physische Anwesenheit vor Ort keine Voraussetzung war, sondern nur die Anwesenheit vor einem internetfähigen Computer. Auf welchen Ort ist das Bild also bezogen? Auf den realen Ort oder auf irgendeinen Ort vor irgendeinem Bildschirm? Und, von allen Bildern, die hier entstanden sind, ist es dasjenige, das am weitesten von seiner Vorlage abstrahiert ist. Ihm fehlt ja nicht nur die Möglichkeit einer klaren Zuordnung, sondern auch die eindeutige Erkennbarkeit. So gesehen ist es die unkonkreteste dieser Arbeiten.

Das Bild ist aber vor allem in Wechselwirkung mit zwei anderen Arbeiten hier entstanden, Stadt und Cantina II. Die Vorlage zu Stadt zeigt den Blick auf Belgrad während der Bombardierung durch die Nato. Für Cantina und Cantina II habe ich Bilder einer Überwachungskamera vom Schulmassaker in der Columbine High School verwendet. Neben der Verbindung von Securitycam und Webcam, technisch ist das ja das gleiche und kulturtechnisch vermutlich auch, war für mich bei Lichter und den beiden Cantina-Bildern vor allem die Frage nach dem Grad ihrer Erkennbarkeit relevant. Interessanterweise war dieser bereits bei den Vorlagen schon nicht sonderlich hoch und ich habe diesen Aspekt noch gesteigert. Mein Lieblingsbild von der Friedrichshafener Webcam zeigt übrigens die Promenade nachmittags im Nebel; da sieht man nur noch Grau in Grau.

RM: Aber, warum übersetzt Du die Medienbilder in Malerei? Du könntest ja auch direkt mit dem gefundenen Bildmaterial arbeiten.

NB: Das mache ich auch, zum Beispiel in dem Projekt Der Raketenmann, bei dem ich mit Ralf Tekaat zusammenarbeite. In diesem Projekt, in dem es um Strategien und Formen medialer Wissensvermittlung geht, verwenden wir auch unbearbeitete mediale Fundstücke, die wir dann in einem neuen Sinnzusammenhang arrangieren. In meiner sonstigen Arbeit halte ich an der Übersetzung in Malerei fest, weil sie am weitesten entfernt ist von den modernen Bildmedien und deren Charakteristika, zumindest im Bereich des Zweidimensionalen – sowohl in ihrer Materialität als auch in ihrem Entstehungsprozess. Dem technischen, digitalen, körperlosen Aspekt der Medienbilder wird so ein Rest von Körperlichkeit und Dinglichkeit gegenüber oder zur Seite gestellt. Das ist mir nach wie vor wichtig. Die Oberfläche eines gemalten Bildes ist etwas anderes, objekthafteres, dinghafteres als eine Bildschirmoberfläche. Die Fotografie, die früher als Gegenüber der Malerei fungierte, ist heute irgendwo zwischen den Polen Malerei und Neue Medien angesiedelt.

Und dazu kommt das Malen selbst, als Handlung und als Arbeitsweise. Wobei ich den Bezug zu traditionellen Formen der Malerei aufgrund meiner relativ klaren und strukturierten Malweise durchaus in Frage stelle. Meine Arbeitsweise erinnert ja eher an eine Imitation von Malerei als an Malerei im traditionellen Sinne. Aber, mir ist der Wechsel wichtig, von einem Medium ins andere, deshalb übersetze ich die Medienbilder in Malerei. Ich möchte, dass der zu betrachtende Gegenstand, das Bild, ganz klar macht, dass es nicht das ist, worauf es
Bezug nimmt, dass hier ein Bruch stattfindet. Es geht um Nähe, thematisch, formal und inhaltlich, aber nicht um Deckungsgleichheit. Die Bildlogik ist eine andere, als die Logik medialer Bildzusammenhänge oder technischer Bilder, die mir als Ausgangsmaterial dienen.

RM: In diesem Zusammenhang hast Du von der Verzahnung von Wirklichkeit und Medienrealität gesprochen. Was meinst Du damit genau?

NB: Erste und zweite Realität oder empirische und mediale Wirklichkeit sind natürlich nur Hilfsbegriffe, eine abstrakte Trennung die notwendig ist, um begreifen und beschreiben zu können, welche Rolle Medien spielen. Die Medien stehen ja nicht der Wirklichkeit gegenüber, sie sind ein Teil der Wirklichkeit. Die mediale Erfahrung wirkt sich auf die Erfahrung der empirischen Realität aus und umgekehrt. Für mich sind die Medienbilder Quelle einer authentischen Erfahrung.

RM: Medienbilder sind schnelle Bilder, schnell veröffentlicht, schnell reproduziert, aber auch schnell vergessen. Du beschäftigst Dich sehr lange mit einem Bild, in der Vorbereitungsphase und auch bei der anschließenden Übersetzung in Malerei. Deine aus vielen Farbschichten aufgebaute Malerei ist sehr zeitaufwendig. Welche Rolle spielt der Faktor Zeit?

NB: Es ist eigentlich, wie eben bereits angedeutet, eine überholte Praxis, an der Malerei festzuhalten – und dann auch noch in einer Form, die so zeitaufwendig ist. Ich produziere Bilder mit einer Technik, die eigentlich völlig widersinnig ist. Genau das macht aber auch den Reiz aus. Es ist reizvoll, einem Bild, das für den schnellen Gebrauch gedacht ist, das aus einer Unmenge von fast gleichen Bildern seinen Weg in eine Zeitung oder auf eine Homepage gefunden hat und morgen vielleicht schon nicht mehr relevant ist, Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, daraus etwas entstehen zu lassen, dass viel Zeit in Anspruch nimmt. Abgesehen davon, dass es Bilder gibt, die es verdienen, dass man ihnen so viel Zeit widmet.

RM: Du zerlegst die Motive, reduzierst sie auf Farbtonwerte, die Du in Zeichnungen übersetzt und dann auf die Leinwand überträgst. Deine neuen Arbeiten zeichnen sich durch einen zunehmenden Grad an Auflösung, ja an Abstraktion aus.

NB: Durch die vielen Schritte bei den Vorarbeiten schaffe ich eine Distanz zum Ausgangsbild. Zum anderen verschaffe ich mir während des Bearbeitungsprozesses Klarheit über das Potential eines Bildmotivs. Inzwischen ist es so, dass ich die Spuren und undeutlichen Elemente der Vorlagen stärker betone, um daraus das Formenvokabular des einzelnen Bildes zu entwickeln. Ich arbeite heute mehr auf und mit den Oberflächen der verschiedenen Medien, in denen das Motiv reproduziert wurde oder in denen ich es überarbeitet habe. Ich richte meine Aufmerksamkeit in diesem Moment also weniger auf den Bildinhalt, statt dessen konzentriere ich mich auf die Charakteristika der Vorlagen oder technischen Zwischenschritte: die Pixel, die Tonwerte, die Farbspuren, die Streifen, die sich durch die Bilder ziehen, weil sie vom Drucker darauf hinterlassen wurden.

RM: Welche Rolle spielen die Bildinhalte dann überhaupt noch für Deine Arbeit?

NB: Es sind oft gerade die Inhalte, die meine Aufmerksamkeit auf ein Motiv lenken. Wenn ich mich für ein Thema interessiere, bringe ich natürlich auch eine größere Aufmerksamkeit für seine visuelle Seite mit.

RM: Aber Du löst die Vorlagen doch aus ihrem Kontext. Welche Bedeutung spielt der ursprüngliche Bildzusammenhang überhaupt noch für das gemalte Bild? Für das Gemälde Stadt beispielsweise verwendest Du ein Pressefoto von der Bombardierung Belgrads, der Hinweis auf den Krieg und die Zerstörung gehen in Deinem Bild jedoch verloren.

NB: Der Bezug geht nicht erst beim gemalten Bild verloren, sondern schon durch das Ausschneiden des Bildes aus der Zeitung, das Herauslösen aus dem Kontext. Bei Stadt bestand die Hauptveränderung dann darin, dass ich den Coca-Cola-Schriftzug vom Hochhausdach und die Rauschschwaden vor dem Nachthimmel weggelassen habe. Ich wollte, dass dieser Ort nach „Überall“ aussieht. Deshalb trägt es auch den Titel Stadt. Nicht einmal im Titel bleibt ein Hinweis auf das Ereignis. Der Titelzusatz Nacht III stellt das Bild dann allerdings wiederum in eine Reihe mit zwei früheren Arbeiten. Und in der Zusammenschau kann sich da schon das Gefühl einstellen, dass das Bild nicht ganz so schön und harmlos ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber das ist sozusagen eine Insider-Information.

Im Film oder in den Nachrichten funktioniert das Bild ja als Teil eines komplexen Zusammenhangs, der meistens weit über das hinausgeht, was das Bild zeigt. Das Bild für sich genommen ist eine ganz andere Form von Ereignis. Und da entsteht die Reibung, die mich interessiert, wenn ich das Bild herausnehme aus seinem Zusammenhang und isoliert betrachte. Und dann schaue ich, wie wichtig ist der Kontext? Wie viel nehme ich mit? Was füge ich hinzu? Wie inszeniere ich das Bild in einem neuen Zusammenhang? Das entscheidet sich von Bild zu Bild neu.

RM: Du leitest Ausstellungstitel gerne von einem Leitmotiv oder einem der Bildtitel ab. Der Titel der Ausstellung in Friedrichshafen ist freier, assoziativer gewählt. Aufschlagstelle Luna 2 ist weder ein Leitmotiv noch ein Bildtitel, es bezeichnet ein Dia aus Deinem Materialfundus. Warum dieser Ausstellungstitel?

NB: Irgendwann habe ich gemerkt, dass sich die Arbeiten, die hier in Friedrichshafen entstanden sind, nicht unter einen gemeinsamen Begriff oder ein Leitmotiv bringen ließen, aus dem ich normalerweise meine Ausstellungstitel entwickle. Die neuen Arbeiten haben keine so direkten Verbindungen zu einander wie in bisherigen Serien oder Reihen. Einige greifen verschiedene Aspekte früherer Arbeiten auf, wenn Du so willst, habe ich ein paar alte Fäden noch mal aufgenommen. Bei anderen Bildern habe ich Neues ausprobiert, versucht den spezifischen Eigenschaften der jeweiligen Vorlagen mehr Raum zu geben. Die in Friedrichshafen entstandenen Bilder sind also eher eine Reihe von Einzelbildern denn eine zusammenhängende Serie. Da die Bilder in keiner direkten Verbindung zueinander stehen, konnte ich aus ihnen heraus keinen Titel entwickeln – schon gar keinen programmatischen. Aufschlagstelle Luna 2 erschien mir deshalb aus verschiedenen Gründen ein guter Titel. Er bezieht sich nicht auf ein gemaltes Bild, sondern auf eine virtuelle Arbeit. Das Dia Aufschlagstelle Luna 2 stammt aus dem Archiv einer Künstlerin, die ihr Material anderen Künstlerinnen und Künstler zur Verfügung stellt, um damit zu arbeiten. Das Dia war als Material, als eine Geschichte, die ich noch bearbeiten wollte, schon seit längeren im Atelier präsent. Es ist ein Bild eines eigentlich bildlosen Ereignisses, ein kleines Paradox. Die Pfeilspitze auf dem Dia bezeichnet einen verhältnismäßig großen Bereich der Mondoberfläche, von dem Ereignis selbst oder der Aufschlagstelle im eigentlichen Sinn existieren aber keine Bilder.

Der Titel hat also eine ganz eigene Geschichte. Er kommt als weiteres, als sprachliches Element zu den neuen Bildern hinzu und komplettiert so die lose Assoziationsreihe der Gemälde. Der Bezug zu einem noch nicht gemalten Bild, das noch dazu auf ein bildloses Ereignis anspielt, erschien mir schlüssig, weil es zudem die Offenheit der Reihe auf einer weiteren Ebene transportiert. Und es steckt natürlich auch ein Ausblick darin.

Alle biografischen Angaben wurden zum Zeitpunkt des Stipendiums verfasst und haben keinen Anspruch auf Aktualität. Für nähere Informationen besuchen Sie bitte die Webseiten der Künstler:innen, sofern vorhanden und hier aufgeführt.