Katja Brinkmann, 2009

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geboren 1964 in Bünde, Westfalen; lebt und arbeitet in Berlin

 


Vita
1986 – 1993
Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Preise und Stipendien (Auswahl)
2009
Stipendium ZF Kunststiftung
2003
Stipendium des Landes Baden-Württemberg
2000
Arbeitsstipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg
Einzelausstellungen (Auswahl)
2014
Schatten mongolischer Wolken, Galerie Hollenbach, Stuttgart
successive, Katja Brinkmann | Renate Wolff, Projektraum des Deutschen Künstlerbundes, Berlin
2013
Wandbild im Museumscafé der Kunsthalle Vogelmann, Heilbronn
2012
plot, Kunstverein Neuhausen, Neuhausen auf den Fildern
2009
refresh, ZF Kunststiftung im Zeppelin Museum Friedrichshafen
2007
Gabriele Münter Preis 2007, Martin-Gropius-Bau, Berlin; Frauenmuseum, Bonn (Gruppenausstellung)
2005
Sightseeing, Goethe Institut, Budapest
2002
Bilder und Montagen, Schloss Monrepos, Ludwigsburg
2001
Haus der Kunststiftung Baden-Württemberg, Stuttgart
Katalogtexte

Spiel mit der Wahrnehmung

Regina Michel im Gespräch mit Katja Brinkmann

RM: Katja, du beschäftigst dich in deinen Arbeiten mit grundlegenden Fragestellungen der Malerei: Was leistet Malerei? Wie verhalten sich Fläche und Raum? Wie verhält sich Farbe zu Form? Wo siehst du die zeitgenössische Relevanz?

KB: Seit Beginn der Malerei ist die Umsetzung des Dreidimensionalen in einen zweidimensionalen Bildraum, die Frage nach dem Umgang mit Räumlichkeit, mit Illusion und mit der durch den Bildträger begrenzten Bildfläche ein zentrales Thema. Zu Beginn meines Studiums habe ich Stillleben gemalt, Stillleben mit bedruckten Gegenständen wie Milch- und Apfelsafttüten, wobei mich besonders die Umsetzung der grafischen Muster und Schriften interessiert hat. Das Interesse am Ornamentalen war sozusagen von Anfang an ein Bestandteil meiner Arbeit. Daraus haben sich dann die Strukturen entwickelt, die ja bis heute ein wesentlicher Teil meiner Bilder sind. Ich habe mich dann von der Umsetzung des Gegenständlichen entfernt und eine Zeitlang mit rechtwinkligen, strukturierten Flächen experimentiert. Irgendwann kam dann das Interesse an der runden Form ins Spiel, zuerst ganz banal als Gegensatz zur rechtwinkligen Leinwand. Die Beschäftigung mit Gegensätzlichkeiten hat sich dann auf alle Ebenen der Malerei, wie Fläche und Raum, Fläche und Struktur oder Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit, ausgeweitet. So hat sich allmählich eine ganz eigene Bildsprache herauskristallisiert, mit der ich nun seit langem arbeite und die ich dabei immer weiterentwickle. Gleichzeitig hinterfrage ich mein Vokabular aber auch permanent.

RM: Was reizt dich am Diskurs über Malerei und warum ist es dir so wichtig, die grundlegenden Aspekte der Malerei, wenn man so will, „werkimmanent“ mit Hilfe des Vokabulars der Malerei zu diskutieren?

KB: Mir geht es nicht darum, einen theoretischen Beitrag zum Diskurs über Malerei zu leisten, sondern um die Auseinandersetzung mit Malerei innerhalb des Bildes, mit Hilfe einer sinnlichen Bildsprache. Dabei ist mir wichtig, die ganze Bandbreite von Bildmitteln wie Farbe und Form, Fläche und Raum zu berücksichtigen und zu untersuchen. Gleichzeitig stelle ich die Bildaussagen wieder in Frage, in dem ich einen weiteren Weg, eine weitere Wahrnehmungsmöglichkeit mitliefere. So verführen die Formen zu Assoziationen, die im nächsten Augenblick schon wieder fallengelassen werden müssen. Was zunächst flächig erscheint, entwickelt bei längerer Betrachtung eine Räumlichkeit, die sich dann doch wieder auflöst. Einerseits suche ich nach einer Objektivierung der Bildsprache, die anhand der Mittel der Malerei eine Auseinandersetzung mit Malerei und Wahrnehmung ermöglicht. Andererseits gibt es auch einen subjektiven Anteil in meinen Bildern, der auf intuitiven Entscheidungen beruht. Dadurch bleibt immer auch etwas Rätselhaftes in den Bildern, ein Anreiz auch für meine eigene Lust am Schauen und Weiterarbeiten.

RM: Deine Bilder zeichnen sich durch ungewöhnliche Farbkontraste aus, die Farbpalette erinnert an die 1970er Jahre.  Warum hast du dich für diese Farbgebung entschieden?

KB: Die Farbkontraste wähle ich häufig in der Nähe zum Komplementärkontrast, aber immer leicht verschoben. Die Farbigkeit an sich finde ich eher intuitiv, wobei für mich aber immer eine Mehrdeutigkeit entscheidend ist. Zum einen erscheinen die Farben sehr künstlich, das entspricht meinen Bildern, die ja künstliche Konstruktionen sind. Besonders spannend finde ich an der Farbauswahl, dass sie zum einen diese Künstlichkeit unterstützt, gleichzeitig wecken die Farben aber auch wieder Assoziationen an Naturhaftes, Organisches, was mit der Formgebung korrespondiert.

RM: Du planst deine Bilder sehr genau, bevor du mit dem Malen beginnst, überlässt nichts dem Zufall. Wie entstehen deine Bilder? Wie findest du deine Motive und wie setzt du sie in Malerei um?

KB: Meine Arbeiten entstehen von Bild zu Bild in einem relativ geschlossenen Prozess. Die Bildmotive entwickeln sich eins aus dem anderen, wobei immer auch neue Elemente und Formen hinzukommen. Früher habe ich meine Leinwände anhand von gemalten Skizzen vorbereitet. Dann bin ich dazu übergangen, die Arbeiten am Computer zu entwickeln. Dabei greife ich auch auf schon vorhandene Arbeiten und Bildelemente zurück, die ich digital weiterbearbeite. So entstehen große Serien von Entwurfsskizzen, in denen ich meine Bilder bis ins Detail plane, bis ich zu einem endgültigen Entwurf komme, der dann umgesetzt wird. Die präzise Vorplanung ist deshalb so wichtig, weil sich die einzelnen Farbflächen in meinen Bildern nicht überlagern. Jede einzelne Fläche besteht zwar aus vielen übereinandergelegten Farbschichten, die Formen jedoch sind nebeneinander ohne Überlagerungen angelegt, das heißt, es ist nur das gemalt, was man schlussendlich auch sieht. Während des Malprozesses kann ich die Form der Farbflächen also nicht mehr verändern. Die Auffassung des Bildes als Fläche ist mir wichtig.

Es kommt mir auch darauf an, dass meine Bilder gemalt sind und dass dies auch sichtbar ist, dass Farbe und Farbtiefe sinnlich präsent sind, deshalb klebe ich die Konturen zum Beispiel nicht ab, sondern male sie freihand. Dadurch erhalten sie eine gewisse Lebendigkeit.

RM: Auf den ersten Blick lassen die monochromen Flächen in deinen Arbeiten an Farbflächenmalerei denken. Gleichzeitig brichst du diese Assoziation sofort wieder, konfrontierst die flächigen Partien mit Farbverläufen, die eine räumliche Wirkung erzeugen, ovale und elliptische Formen scheinen sich immer wieder zu überschneiden. Was interessiert Dich an diesem Spiel mit der Wahrnehmung?

KB: Jedes meiner Bilder ist ein komplexes Ganzes, in dem die einzelnen Komponenten in einem engen Zusammenspiel stehen, sich gegenseitig bedingen. Es existiert keine Form an sich ohne die Farbe oder ohne die Struktur. Das ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit.

Vor allem interessiert mich das Hinterfragen von Wahrnehmung. Ich spiele dabei ganz bewusst mit Ambivalenzen, mit einer permanenten Irritation des Betrachters. Formen scheinen sich zu überlappen, obwohl sie nebeneinander gemalt sind, Strukturen sehen spontan oder gestisch aus, sind bei näherer Betrachtung aber mühsam aufgebaut. Es entsteht eine räumliche Illusion, der Betrachter wird aber immer wieder auf die gemalte Oberfläche des Bildes zurückverwiesen. Es ist mir wichtig, dass nichts isoliert, nichts absolut existiert. Alles wird immer wieder in einen neuen Zusammenhang gestellt und so hinterfragt, dadurch entsteht eine permanente Bewegung.

RM: In deinen Bildern wechseln die Bildelemente immer wieder ihre Position im Raum. Vordergrund und Hintergrund changieren.

KB: Wie gesagt, das Element der Bewegung ist ganz wichtig für meine Arbeit. Das fängt bei der Komposition an. Der Betrachter wird von einem Bildpunkt zum nächsten geführt, ohne dass es jedoch einen Mittelpunkt gibt, an dem er sich festhalten könnte. Die Bilder verführen so zu einer kreisförmigen Bewegung des Blickes, ohne diesem jedoch einen Ruhepunkt anzubieten.

RM: Der Betrachter gerät also in einen Bewegungssog, in einen Strudel, von dem er sich tragen lassen soll?

KB: Ein komplettes Eintauchen oder Sich-treiben-lassen ist in meiner Arbeit nicht möglich. Immer wieder aufs Neue wird eine Distanz zum Bild aufgebaut. Der Betrachter kann sich seiner Wahrnehmung oder Zuordnung nie wirklich sicher sein, er wird sich immer wieder seines eigenen Standpunktes außerhalb des Bildes bewusst. Das meine ich, wenn ich von einer permanenten Irritation spreche. Meine Arbeit hat dabei durchaus etwas Spielerisches und auch eine lustvolle Komponente.

RM: Neben den zum Teil großen Leinwandbildern hast du in den vergangenen Jahren auch immer wieder raumbezogene Arbeiten realisiert, wie die Wandarbeit in der Gasag in Berlin oder die Bodenarbeit in Schloss Monrepos in Ludwigsburg. Was verbindet die beiden Werkgruppen?

KB: Sowohl bei den Tafelbildern als auch bei den Wand- und Bodenarbeiten arbeite ich in der Regel mit einer begrenzten zweidimensionalen Fläche, die zum Illusionsraum wird, sei es die Leinwand, die Wand oder aber der Boden. Bei den Raumarbeiten ist diese Fläche jedoch nicht unbedingt rechteckig, sondern kann aufgrund von Wandvorsprüngen oder -öffnungen beschnitten sein. Ungeachtet der unregelmäßigen Form fasse ich Wand oder Boden genauso als Bildfläche auf wie eine Leinwand.

Im Flur der Gasag integrieren sich die Formen einerseits in das Raumgefüge, umfassen die Türöffnungen mit großer Selbstverständlichkeit, werden dabei aber von Wand, Decke oder Boden beschnitten und scheinen so die Dimension der Wand zu sprengen. Dadurch entsteht der Eindruck einer collagenhaften Einfügung, einer Applikation von „außen“ in den Raum. Mich interessiert dabei eine Balance zwischen Integration und Kontrast, eine Verschränkung von Raum und Bild, die in dem autonomen Tafelbild nicht gegeben ist.

RM: Weder bei der Bodenarbeit in Monrepos noch bei der Wandarbeit in der Gasag kann der Betrachter die Arbeit als Ganzes erfassen, er muss den Bildraum real durchschreiten. Durch die fehlende Distanz oder den fehlenden Überblick, aber auch durch die wechselnden Fluchtpunkte befindet sich der Betrachter unmittelbar im Bild. Welche Rolle spielt der Betrachter in deinen raumbezogenen Arbeiten?

KB: Die wechselnden Perspektiven, die vom Betrachter aktiv eingeforderte Bewegung reizen mich an den Arbeiten im räumlichen Zusammenhang. Und mich interessiert dabei die Veränderung des Raumes durch meinen malerischen Eingriff. Das Spannende, die Herausforderung bei der Wandarbeit für die Gasag, war der Ort, der enge Flur. Dass das Bild nie als Ganzes zu sehen ist, dass es keinen festen Standpunkt gibt, dass das Bild immer wieder neu aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden muss, habe ich in meiner Arbeit thematisiert. Die Formen schieben sich über die gesamte Länge des Flures, je nach Laufrichtung und Blickwinkel scheinen sie runder oder ovaler, sich in die eine oder andere Richtung auszudehnen oder zu bewegen.

Bei der Bodenarbeit in Monrepos war es ähnlich. Das Teppichbild hat die gesamte Rotunde des Barockschlosses ausgefüllt und die Formen schienen sich unter den Wänden fortzusetzen. Der Betrachter musste den Teppich betreten und befand sich so mitten im Bild – in den Formen, im Farbraum – ohne sich einen Überblick verschaffen zu können. Der Betrachter musste sich also auf das Bild auch körperlich einlassen. Wie auch in den großformatigen Leinwandarbeiten erhalten die Farben, Formen und Strukturen durch ihre Dimensionen eine regelrecht körperliche Präsenz.

RM: Wenn du von Bewegung sprichst, von der Notwendigkeit, den Standpunkt zu wechseln, um das Bild zu erfassen, drängt sich mir die Assoziation der Horizonterweiterung im übertragenen Sinne auf.

KB: Ich bin überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Denken und Bewegung gibt. Bewegung ist meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung, um die eigene Position oder die Verhältnismäßigkeit von Dingen immer wieder neu zu überprüfen. So wird nicht nur das konkret Gesehene relativiert und hinterfragt, sondern auch die Haltung verändert und ein Perspektivenwechsel ermöglicht.

 

ICH MALE, ALSO …
Katja Brinkmanns Malerei als unendliche Geschichte

Frank-Thorsten Moll

„Wenn ich male und konstruiere
versuche ich visuelle Artikulation
Dabei denke ich nicht an Abstraktion
Und ebensowenig an Expression
Und suche nicht Ismen
nicht augenblickliche Mode
ich sehe, dass Kunst wesentlich
Absicht ist und schauen
Dass Form vielfache Vorstellung sucht“
Josef Albers

Die Arbeiten der Malerin Katja Brinkmann zeichnen sich durch eine erstaunliche, um nicht zu sagen eigensinnige formale Konsistenz aus. Zumeist geben sich in ihnen monumentale Oval- und Eiformen zu erkennen, die sich aneinander winden und trotz der grundsätzlich abstrakten Bildauffassung immer wieder an Landschaften oder Ornamente erinnern können.

Es sind nicht zuletzt die ungewöhnlichen Farben, die den Betrachter dazu verleiten, in den Bildern etwas zu sehen, das vordergründig nicht im geringsten in ihnen angelegt ist. Farbe und Form sind die beiden Hauptingredienzen ihrer Arbeit, die vor „bildprogrammatischer Entschlossenheit“1 nur so vibriert, wie Stephan Berg einst bewundernd feststellte. Dabei ist es sicher wichtig festzuhalten, dass Form und Farbe in ihren Gemälden nicht losgelöst voneinander zu betrachten sind. So ist es doch gerade die Eigensinnigkeit ihrer Farbauswahl, die die Formen in ihrer beeindruckenden Prägnanz erst zum Wirken bringt. Dort wo ein sattes Hellblau auf ein dekoratives Pfefferminzgrün trifft, das von einem schrillen Orange flankiert wird, glaubt man zunächst an einen malerischen Fauxpas, der aber ab einem bestimmten Moment überraschend natürlich bzw. stimmig wirkt. Hier zeigt sich eine Ambivalenz, in der die Farben durch den Umstand ihrer Unnatürlichkeit einen gemeinsamen Nenner finden.

Heimlich, still und leise betreten hiermit die amerikanischen Avantgarden des Minimalismus und deren Bevorzugung nicht-spezifischer Materialien die Bühne, die uns Katja Brinkmanns Malerei anbietet und deren Farben „ihre Herkunft aus dem Geist der Künstlichkeit klar bekennen“2. Die Intention einer malerischen Narration ist ihr, in der Nachfolge modernistischer Malerei stehend, tatsächlich fremd, genauso fremd wie künstlerische Eitelkeiten, wenn es dann doch um gängige Assoziationen geht, die ihre Arbeiten in die Nähe von Tapetendesign der sechziger, siebziger Jahre rücken, oder in den elliptischen Formen Sonnenbrillen vermuten lassen. Sie kann sich diese Uneitelkeit erlauben, weil es ihr letztlich um ganz andere malerische Probleme zu gehen scheint – nämlich z.B. um die ewig aktuelle Frage, wie man die Figur in ein Verhältnis zum Grund setzen kann oder wie Malerei als raumgreifendes Element aufgefasst werden kann, ohne die tradierten Tricks von Illusionismus und Perspektive zu verwenden.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit diesen Fragen findet jedoch nicht nur mit dem Pinsel in der Hand vor der Leinwand statt, sondern beginnt zumeist mit einer Idee, die sie in dem Bildbearbeitungsprogramm Photoshop vielfach aus- und durchprobiert. Den Computer benutzt sie dabei konsequent als Form- und Farbsimulator – kurz gesagt als ein Analysewerkzeug, mit dessen Hilfe sie sich der praktischen Durchführbarkeit ihrer bildnerischen Ideen vergewissert und Erprobungen durchführt, die ab einem bestimmten Zeitpunkt, wenn bereits Hunderte von Ausdrucken vor ihr liegen, in einer malerischen Übersetzung münden. Einer Übersetzung in ein Tafelbild, dessen Bezüge zu dem, was „außerhalb“ seiner selbst liegt, durch die Verweigerung von Aussagen zwar zunächst gekappt, aber dann vielfältig durch die Hintertür der Betrachterfunktion und dessen Vorstellungen wieder re-importiert wird.

Katja Brinkmann hat dabei von Anfang an eine genaue Vorstellung des Bildes im Kopf und tastet sich behutsam an dieses in ihrer Imagination verankerte Bildwissen heran. Wie die Kreisfiguren auf den Bildern scheint auch ihre Denk- und Arbeitsbewegung eine elliptische zu sein; eine beständig um sich selbst kreisende und dabei selbstvergessene Bewegung, die an den Kanten zwar immer wieder auszulaufen droht, so wie die Farbübergänge auf ihren Gemälden, aber sich dabei nie unsicher wird über den solitären Status ihrer selbst und ihrer Unverwechselbarkeit.

Die Bildfindung ist ein langwieriger Prozess, der im Aufbau von zahlreichen Schichten und Lasuren viel Zeit und Konzentration verlangt. Der Zeit dabei etwas abzutrotzen und dieses Abgetrotzte ins Bild zu setzen, scheint nicht nur Sinn und Antrieb ihrer Arbeit zu sein, sondern auch der Grund dafür, dass ihre Bilder eine gewisse Widerständigkeit ausstrahlen. Eine Widerständigkeit, die zu erklären vermag, aus welchem Grund sie wider besseres Wissen ihre Malerei, die sich maßgeblich über die komplizierten Farbverläufe definiert, konsequent in Acrylfarben malt und nicht auf die viel besser geeigneten Ölfarben ausweicht. Offensichtlich zieht sie den harten, steinigen Weg dem der Abkürzung vor und fordert sich selbst auf diese Art und Weise immerzu aufs Neue heraus – nicht nur als Maler, sondern auch und vor allem als denkender Mensch. Vielleicht geht es deshalb vielmehr darum, der eigenen selbst auferlegten Limitation mit heiterer Ignoranz zu begegnen und in der wiederholten Neuerfindung ein eigenes ganz persönliches Mantra zu zelebrieren, das den Fokus der Aufmerksamkeit auf den Prozess des Malens selbst richtet und wegführt von einem historisch vielfach überfrachteten „Gedankencontainer“ mit Namen Malerei.

Könnte es etwa sein, dass sie deshalb so sehr von der Form des Kreises angezogen ist, weil auch hier kein Anfang und kein Ende ablesbar ist? Und könnte es darüber hinaus nicht sein, dass die aus sich herausdrängenden Bildinhalte, die den Bildrahmen schier zu sprengen versuchen, deshalb so energetisch wirken, weil sie den Innenraum des Bildes letztlich als den Raum definieren, der weniger als Grenze, denn als Potenz für Grenzüberschreitung gesehen werden muss?

Ihre raumbezogenen Arbeiten unterstreichen diesen Gedanken, wenn sie wie zum Beispiel mit ihrem Teppichbild in der Rotunde des Schlosses Monrepos in Ludwigsburg (Bilder und Montagen, 2002) die Bildsprache ihrer Malerei aufs Medium des Bildteppichs überträgt.

Allgemein geht es ihr bei den raumbezogenen Projekten scheinbar nicht um Verlust oder Differenz, sondern vielmehr um die Produktivität von Übersetzung, die das Eine (Malerei) nicht mit dem Anderen (Teppich- oder Wandarbeiten) vergleicht, sondern als Teil eines übergeordneten Projektes versteht. Gerade bei den Wandarbeiten, wie zum Beispiel o.T. (Wandbild), 2005, das sie im Goethe Institut, Budapest realisierte, zeigt sich, dass sie das Thema im Dialog mit dem gegebenen Raum wiederholt: als Wandbild, das sich wie eine Tapete in den Raum schmiegt.

Das Motiv der Tapete ist nicht nur in Bezug auf die Transparenz und Durchlässigkeit konstruierter Räume zu deuten. Es geht vielmehr darum, eine tradierte Lesart auf den Prüfstand zu stellen, die in der Kurzgeschichte „The Yellow Wallpaper“ (Die gelbe Tapete) von Charlotte Perkins Gilman aus dem Jahr 1899 auf faszinierende Art und Weise beschrieben wurde. Die Geschichte gilt nicht nur als eines der frühesten literarischen Zeugnisse eines erwachenden weiblichen intellektuellen Selbstbewusstseins, sondern muss auch als ein Versuch betrachtet werden, die Verwobenheit psychologischer Ausnahmezustände mit den uns umgebenden Räumen schmerzhaft genau zu sezieren. In der Geschichte leidet eine Frau an einer postnatalen Depression, die dadurch geheilt werden soll, dass jede Form intellektueller Stimulation von ihr ferngehalten und sie zur absoluten Ruhe in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers verpflichtet wird. Die Monotonie ihres Krankenzimmers und die Ausweglosigkeit ihrer Depression findet schnell in der konzentrierten Beobachtung der als abstoßend empfundenen monoton-gemusterten Tapete ihre Entsprechung. Während die Frau sich mehr und mehr in die Beobachtung der Tapete vertieft, deren fehlerhaftes Muster in ihr die Obsession des Beobachters entfacht, erwacht die Tapete auf unheimliche Art und Weise zum Leben. Zunächst glaubt die Protagonistin daran, dass etwas hinter der Tapete haust, bis sie schließlich zu der festen Überzeugung gelangt, dass eine Frau – ihr Alter Ego vielleicht – hinter der Tapete eingesperrt ist. Die Tapete und das, was sie verbirgt, nimmt mehr und mehr Besitz von der Frau und die Kurzgeschichte mündet schließlich in einem verzweifelten Befreiungsversuch, in dem die Frau die Tapete wie eine Furie von den Wänden reißt und sich ihrer Depression ohne Barrieren hingibt.

Auch bei Brinkmann entsteht aus der vermeintlichen Wiederholung und Monotonie ähnlicher Motive erst im Laufe intensiver Beobachtung eine auffällige Variantenvielfalt. Übergänge, Farbverläufe, Schichtungen und Bildtiefe sind diejenigen Elemente, die in ihren Bildern zum Leben erwachen, sobald man sich erst einmal auf sie einlässt. So ist es die Ausgesetztheit des Betrachters selbst gegenüber einer allumfassenden, raumgreifenden Malerei, die ihn über die Konstruktion des architektonischen wie auch gesellschaftlichen Raumes nachdenken lässt. Ihre Neuformulierungen formal ähnlicher Bildfindungen setzen die Kraft des Bildes, desjenigen Bildes, das sie im Kopf mit sich trägt und eins ums andere Mal nach Außen stülpt, ein, um genau dieses Nachdenken zu evozieren.

Während die Protagonistin von „The Yellow Wallpaper“ versucht, eine Bedeutung in der Tapete zu finden, um letztlich ein Bild von sich selbst zu schaffen und dabei letztlich scheitert, arbeitet Brinkmann mit einer nahezu mechanisch-kühlen Präzision einfach weiter und kehrt den Aspekt der Monotonie und Wiederholung um, indem sie das Ausgeliefertsein gegen das Schöpferische eintauscht.

In Katja Brinkmanns Werk zeigt sich, dass sie in ihrer Malerei mit denselben malerischen Fragestellungen zu kämpfen hat wie vorhergehende Malergenerationen. Diese löst sie dadurch, dass sie an den immer gleichen Problemen konsequent weiterarbeitet. Diese Art der künstlerischen Forschung ist als „total“ zu bezeichnen. Hier treffen die Worte von Maurice Merleau Ponty ins Schwarze, der einmal über den auf diese Art forschenden Künstler schrieb, dass er, sobald er eine bestimmte Fertigkeit erlangt hat, bemerken müsse, dass er hiermit nur ein neues Feld eröffnet habe, wo alles, was er vorher hatte ausdrücken können, in anderer Weise noch -einmal gesagt werden müsse. Diese Forschung ist somit eine per se unabgeschlossene, da der Fund wieder neue Forschung hervorruft. Diese Beobachtung trifft besonders auf Katja Brinkmann zu, deren Bilder konstant um ein Thema kreisen und von ihr implizit als unendliche Geschichte angelegt ist, sodass ihr – die Spekulation sei an dieser Stelle erlaubt – die Bilder noch lange nicht ausgehen werden.

1 Stephan Berg, Bildertaumel, in: Katja Brinkmann – Bilder und Montagen, 2002, Hrsg.: Heinrich Schmid GmbH & Co. KG, Reutlingen
2 Stephan Berg, 2002

 

Alle biografischen Angaben wurden zum Zeitpunkt des Stipendiums verfasst und haben keinen Anspruch auf Aktualität. Für nähere Informationen besuchen Sie bitte die Webseiten der Künstler:innen, sofern vorhanden und hier aufgeführt.