Clemens Fürtler, 2013

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geboren 1966 in Mödling, Österreich; lebt und arbeitet in Wien


Vita
1990 – 1995
Studium an der Akademie der Bildenden Künste Wien
Preise und Stipendien (Auswahl)
2013
Stipendium ZF Kunststiftung
2010
Stipendium Anni und Heinrich Sussmann Stiftung, Wien
2009
Anerkennungspreis Bildende Kunst des Landes Niederösterreich
2002 – 2003
Artist-in-Residence, Patterson Space, Melbourne
1998
Artist-in-Residence, Patan Museum, Kathmandu
Einzelausstellungen (Auswahl)
2015
BILDMASCHINE 07, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck
2013
BILDMASCHINE 06, ZF Kunststiftung im Zeppelin Museum Friedrichshafen
2003
Indian Allstars, Platform Gallery, Melbourne
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2013
Pavilion 0, 55. Biennale di Venezia, Side Show, Venedig
2012
Schaufenster zur Sammlung II, Tag- und Nachtbilder, Museum der Moderne Salzburg
2011
Erased_Walls, Kunstsäle Berlin
2010
Meditations, Nationalmuseum Warschau
2007
Modelle – Allegorien des Realen, Kunsthalle Göppingen
2005
Museum for Modern Art, Shanghai
Katalogtext

Der Maler als Artifex

Michael Stoeber

Das Werk von Clemens Fürtler wird häufig mit seinen Bildmaschinen identisch gedacht, während er sich selbst in erster Linie als Maler sieht. Ursächlich für dieses Missverständnis dürften mehrere Gründe sein: Zum einen trägt die Monografie über das Werk des Künstlers aus dem Jahre 2009 die Bildmaschinen bereits im Titel. Auch wenn das Buch den Blick auf die Malerei des Künstlers keineswegs auslässt, stehen im Zentrum seiner Betrachtung doch die Bildmaschinen. Zum anderen ist die Fokussierung des Publikums auf diese Werke Fürtlers ihrem spektakulären Auftritt geschuldet. Mit ihnen nimmt er in der zeitgenössischen Kunst eine absolut singuläre Position ein. Es gibt kein künstlerisches Werk, das auch nur entfernt mit ähnlichen Objekten aufwartet. Dabei schauen Fürtlers Bildmaschinen wie der römische Gott Janus in zwei Richtungen. In Bezug auf seine Malerei blicken sie vor und zurück. Sie haben sich aus seiner Malerei entwickelt und bis heute entwickelt sich aus ihnen seine Malerei.

Von 1990 – 1995 studierte Clemens Fürtler an der Akademie der bildenden Künste in Wien Malerei und schloss sein Studium mit dem Diplom ab. Danach stellte sich für ihn wie für jeden Künstler heute – und für die jungen im Besonderen – die Lenin-Frage: »Was tun?« In seinem Fall hieß das nichts anderes als eine Antwort zu finden auf die Frage: »Was malen?« Die Zeiten der Auftragskunst sind lange vorbei. Der zeitgenössische Künstler beauftragt sich selbst. Das gehört gewissermaßen mit zu seinem Berufsethos.

Um jungen, begabten Künstlern Zeit zum Nachdenken wie zur Inspiration zu geben, gewähren der Staat oder Stiftungen einigen von ihnen Stipendien und Studienaufenthalte. 1998 lebte Clemens Fürtler ein halbes Jahr als artist in residence in Kathmandu in Nepal. Dort lernte er vom ersten Tag seines Aufenthaltes an einen geradezu selbstmörderisch anmutenden, scheinbar regellosen und von einem Höllenlärm erfüllten Verkehr kennen, der selbst für einen an metropolitane Verkehrsströme gewöhnten Europäer absolut erstaunlich und gewöhnungsbedürftig war. Allerdings erkannte der junge Künstler hinter der chaotischen Dramaturgie der Straße sehr bald ein System, das ihn immer stärker faszinierte. Fürtler erinnert sich: »Durch die Beschäftigung mit dem urbanen Leben in Kathmandu zentrierte sich mein Interesse zunehmend auf den Verkehr, seine soziale Relevanz, Vielschichtigkeit, alltägliche Grausamkeit, aber auch auf die ihm innewohnende Ästhetik.«1 Wie in einer brutalen Epiphanie hatte der Künstler sein Thema gefunden. In Nepal malte Fürtler veristische, halb dokumentarische Bilder, die Zeugnis ablegen von der Verkehrssituation in der Stadt. Ihre Farben sind klar, ihre Formen rein, als wollte er schon da hinter den spezifischen Situationen, die er darstellte, platonische Urszenen aufscheinen lassen. Hinter dem Bild die Idee. Die Perspektiven seiner Gemälde sind oft filmisch, so wenn der Blick in Nepal 04 (1998) aus dem Inneren eines Wagens auf die Straße geht. Sie machen deutlich, dass der Künstler eine Kamera benutzt, um mit ihr seine Eindrücke skizzenhaft festzuhalten. Das sich schon andeutungsweise manifestierende Artifizielle seiner Malerei, ihr Purismus und ihre Reduktion, verstärken sich in den Bildern der kommenden Jahre. Wenn der Maler in Süd-Ost-Tangente 01 (2001), in Kurve 01 (2001) oder auch in Kurve 08 (2005) völlig leere Autobahnen darstellt, wirken sie trotz aller Gegenständlichkeit so künstlich, als seien sie aus Videospielen auf seine Leinwände gewandert. Ihre Dynamik verkehrt die Verhältnisse. Statt der abwesenden Autos rasen die Straßen.

Kein Wunder, dass Clemens Fürtler um das Jahr 2000 die Idee zu seiner ersten Bildmaschine hat. Wie alle auf sie folgenden Installationen baut er sie aus alten Modelleisenbahnen und Modellautobahnen auf. Keine leichte Sache, die längst aus der Mode gekommenen Teile der Firmen Faller und Märklin zu erwerben, aber mit den Jahren hat sich der Künstler zum immer geschickter agierenden Sammler entwickelt. Dabei leitet ihn keineswegs das Interesse an der Herstellung einer authentischen Spielzeugwelt, die darum bemüht ist, im Modell lebensweltliche Verkehrsituationen wirklichkeitsgetreu ins Bild zu setzen. Gegen das Simulacrum wendet sich schon das abgelebte Material, das er für seine Bauten wählt. Wo die Halbwertszeit technologischer Innovationen immer kürzer wird, wirken Fürtlers Bildmaschinen eher wie archäologische Monumente der Moderne als wie Modelle aktueller Eisenbahn- und Autobahnsysteme. Das ist ganz im Sinne des Künstlers. Statt um Mimesis geht es ihm bei seinen Bildmaschinen um Autopoiesis, statt um Nähe um Distanz. Trotzdem verfolgt der Betrachter die Installationen von Schienen und Straßen mit den auf ihnen entlang rasenden Vehikeln mit Sympathie. Ähnlich seinem Stoffe zugewandt, dürfte sich auch der Aufbau der Werke durch Clemens Fürtler vollzogen haben. In Produktion wie Rezeption seiner Bildmaschinen obwaltet das Motiv des Spiels. Von ihm wusste Friedrich Schiller: »Der ernsteste Stoff muss so behandelt werden, dass wir die Fähigkeit behalten, ihn unmittelbar mit dem leichtesten Spiel zu vertauschen.«2 Und über den Spielenden schrieb er in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«3

Dass sich indes im leichten Spiel der Fürtlerschen Bildmaschinen auch ernster Stoff verbirgt, duldet keinen Zweifel. Auf den Endlosschleifen seiner Bildmaschine 01 (2000 – 2004) oder auf den frei im Raum stehenden Bahnen seiner Bildmaschine 03 (2008) rasen wie in einem kafkaesken Universum Miniatureisenbahnen und Miniaturautomobile in sisyphoshafter Verausgabung dahin. Es gibt kein Ziel, nur ein dauerndes Unterwegssein. Fürtlers so harmlos erscheinende Spielzeugwelten sind Menetekel für die Sinnlosigkeit unserer Existenz, der kein gnädiger Gott mehr Weg und Richtung vorgibt. Vor allem wenn wir in den mit Spionglas verkleideten Kubus der Bildmaschine 02 (2006) schauen, mag uns klaustrophober Schwindel erfassen. Die auf ihren Bahnen monoman entlang eilenden Autos werden permanent von ihrem eigenen Spiegelbild gejagt. Realität und Virtualität lassen sich nicht mehr voneinander unterscheiden. Das alte philosophische Problem von Sein und Schein hat der Künstler hier in ganz neuer Weise ebenso virtuos wie poetisch inszeniert. Wären die Spielzeugautomobile in Fürtlers Installation Menschen und könnten denken, so ginge es ihnen nicht anders als dem Prinzen Sigismund in Calderón de la Barcas Schauspiel Das Leben ein Traum. Sie wüssten nicht, ob sie wachen oder träumen. Ob sie und ihre Welt wirklich sind oder doch nur fiktiv. Dieser Riss, der durch unser Bewusstsein geht, wird in noch großartigerer Weise vom Künstler in Szene gesetzt, wenn Autos und Eisenbahnen auf beleuchteten Trassen durch die Nacht jagen und dabei gefilmt werden: Von in den Gehäusen der Vehikel eingebauten Miniaturkameras, von einer in den Installationen stehenden Rotationskamera oder von Hand geführten Aufnahmekameras. Im Wechsel von Licht und Schatten treten Straßen, Schienen und Bogenlampen immer aufs Neue groß und scharf ins schwarzweiße Bild, nur um Bruchteile von Millisekunden später in anderer Perspektive klein und undeutlich zu werden. Sie verwischen und lösen sich auf, bis eine Konstellation von Artefakten wie eine Versammlung von Geistern aussieht. Hätte Clemens Fürtler die Absicht gehabt, mit seinen Bildmaschinen das platonische Höhlengleichnis aufzuführen, ihm hätten keine bessere Strategie und kein wirkmächtigeres Dispositiv einfallen können. Oft genug lassen uns die Fotografien und Filme, welche die Bildmaschinen porträtieren, über den Status ihrer Aufnahmen im Zweifel. »Sein oder Nicht-Sein«, so ließe sich beim Blick auf sie mit Shakespeares Hamlet fragen.

Spätestens hier wird deutlich, warum Clemens Fürtler seine Objekte Bildmaschinen nennt. Weil sie nicht nur selber Bilder sind, sondern zugleich auch Bilder erzeugen. Bilder für seine Fotografien, seine Filme und – ganz wichtig – für seine Malerei. Die ersten Gemälde des Künstlers, die sich von den Motiven der Bildmaschinen inspirieren ließen, zeigen uns eine farbige, fließende Malerei, deren Konturen sich zunehmend auflösen. Bildmaschine 01/1 (2006) stellt deutlich erkennbare Autobahntrassen im gleißenden Gegenlicht dar, das sie im Vordergrund des Werks partiell zum Schmelzen bringt. In den Gemälden Bildmaschine 01/7 (2007) und Bildmaschine 01/9 (2007) aus dem folgenden Jahr verschwimmen die Verläufe von Straßen und Schienen noch weitaus stärker. Als hätten sich, um sie zu malen, die Impressionisten in das 20. Jahrhundert verirrt und für ihr Metier von der Pop Art gelernt. Um danach eine Wirklichkeit ins Bild zu setzen, deren Eindruck von der epochalen Erfahrung der Geschwindigkeit geprägt ist. Diese Erfahrung hat die Menschen schon bei ihrer ersten Eisenbahnfahrt im 19. Jahrhundert mit Todesangst erfüllt. Um sie zu beruhigen, brauchte es die sich nach zahllosen Wiederholungen einstellende Gewissheit, dass bei solchen Reisen eher selten etwas passiert. Aber unterschwellig ist die Angst immer noch da. Weil Raum und Zeit damals zum ersten Mal massiv als relationale Größen erfahren wurden und damit als unsicher. Grund genug für die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Lenk zu befinden: »In der Eisenbahnreise ist das moderne Bewusstsein geboren worden.«4 In den Dissoziationen der Bilder von Clemens Fürtler sind die »Chocs«5 (Walter Benjamin) dieser ursprünglichen Erfahrung ebenso aufgehoben wie in den Verschmelzungen seiner Malerei ihre Abpufferung.

Die Bildmaschine 06 (2013), die der Künstler während des Stipendiums der ZF Kunststiftung geschaffen hat, besitzt imponierende Ausmaße. Ein rasterförmiger, stählerner Quader hält vier sich ineinander windende Autobahnschlaufen, deren Wegführungen ebenso klar wie kompliziert sind. Ein wenig so wie die eines Möbiusbandes. Das Werk ist 255 cm hoch. Die Autos, die auf diesen Trassen hintereinander her jagen, sind auf einer endlosen Einbahnstrasse unterwegs. Fixiert auf eine Bewegung, die in Gleichförmigkeit erstarrt ist und keine Entwicklung kennt. Hier dehnt sich der Moment zur Ewigkeit, Bewegung und Ruhe ähneln einander zum Verwechseln. Wenn die Formel des Sozialphilosophen Paul Virilio vom »rasenden Stillstand« als Diagnose unserer Zeit je zum gültigen Bild wurde, dann in Fürtlers Werk. Wie die verlorenen Seelen in Dantes Inferno sind die Autos seiner Bildmaschine dazu verdammt, in ewiger Wiederholung dasselbe zu tun, solange die sie antreibende Elektrizität fließt. Beim Blick von oben in das Werk erfasst Schwindel den Betrachter. Er glaubt, in die Strudel eines Edgar Allen Poeschen Mahlstromes zu schauen.

Wenig anders stellt sich die Situation in dem Gemälde Bildmaschine 06/1 (2013) dar, das durch die Friedrichshafener Installation angeregt wurde. Wir blicken seitlich in die Bildmaschine hinein und erkennen im Ausschnitt zwei ihrer Schlaufen. Fürtlers Gemälde gibt das Objekt nicht direkt wieder, sondern konzentriert sich auf dessen Spiegelung in einem Fenster. Sie macht, dass die Konturen der Bildmaschine sich auf der Leinwand in einem Vexierspiel von Licht und Schatten vielfältig überlagern. Der Eindruck ist ebenso verwirrend wie ästhetisch reizvoll. Der Bildraum, den der Künstler öffnet, wird durch komplexe Staffelungen und Ebenen zugleich wieder zugestellt. In der Horizontalen durchschneiden ihn die Schwünge der Autobahnen. Zu ihnen setzt das vertikale Raster des Aufbaus der Bildmaschine einen eher statischen Kontrapunkt. Das Gemälde steckt voller Widersprüche. Es steht und fließt, ist scharf und unscharf, hell und dunkel zugleich und verfügt über eine Palette faszinierender Grautöne. Einerseits wirkt es wie ein Emblem für die von Jürgen Habermas schon vor Jahren konstatierte Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaft. Andererseits scheint es uns mit seinen in harmonischer Balance gehaltenen Oppositionen förmlich aufzufordern, es in seiner Faktur gedanklich zu entwirren. Diese Qualität teilt das Gemälde mit einer ebenfalls durch die Motive der Friedrichshafener Bildmaschine inspirierten Siebdruckreihe von Clemens Fürtler. Auch sie bannen in ihrem grauen Pandämonium die Schatten und Geister einer Parallelwelt. Wenn der Künstler in diesen Blättern seine Druckvorgänge, die von der Abfolge vom Hellen ins Dunkle reichen, zum Ende hin minimal gegeneinander verschiebt, schafft er einmal mehr räumliche Irritationen, die für den Betrachter zu einer Schule des Sehens werden. Präzises Wahrnehmen erfordert Scharfsinn. In der Evolution des Menschen ist es überlebensnotwendig gewesen. Früher beim Jagen in der Steppe, heute im jagenden Verkehr.

Für die diesjährige Biennale in Venedig hat Clemens Fürtler seine Bildmaschine 04 (2013) konstruiert. Ihre Form ist die eines Planeten. Einmal mehr hat der Künstler sie aus Modellautobahnelementen der Marke Faller aufgebaut. Sie bildet eine Doppelspirale und dreht sich in einem schwarzen Kubus endlos um die eigene Achse. Integrierte LEDs beleuchten die leeren Straßen des Planeten. Sie werden von keinem Auto befahren und von keinem Menschen begangen. Als stilles, leuchtendes Monument wirkt der Planet noch unheimlicher als alle vor ihm entstandenen Bildmaschinen. Zugleich eignet ihm aber auch etwas Erhabenes. Als bedürfe es nur der Abwesenheit des Menschen, um eine Ordnung wiederherzustellen, die im Getriebe der Welt anscheinend schon lange verloren gegangen ist.

1 Dieter Ronte, Elmar Zorn (Hg.): Bildmaschine Clemens Fürtler. Bucher Verlag, Hohenems, 2009, S. 21.
2 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Reclam Verlag, Stuttgart, 2006, 22. Brief.
3 Ebd., 15. Brief.
4 Elisabeth Lenk: Kritische Phantasie. Matthes & Seitz Verlag, München, 1986, S. 224.
5 Walter Benjamin hat in seinem Buch Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935) als erster die Choc-Wirkung des Films beschrieben. Er lässt uns, so Benjamin, durch eine »Vertiefung der Apperzeption« die Wirklichkeit intensiver erfahren als die Malerei.
Alle biografischen Angaben wurden zum Zeitpunkt des Stipendiums verfasst und haben keinen Anspruch auf Aktualität. Für nähere Informationen besuchen Sie bitte die Webseiten der Künstler:innen, sofern vorhanden und hier aufgeführt.