09/2008 Bildende Kunst

Regina Michel im Gespräch mit Monika Czosnowska

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Im Dialog mit der Stipendiatin der ZF Kunststiftung.

RM: Monika, ohne Zweifel, der Mensch steht im Mittelpunkt deiner Arbeit. Dabei nimmst du die individuellen Merkmale jedoch stark zurück, in den Serien Novizen oder Eleven genauso wie in den Einzelporträts. Die Kleidung, aber auch die Haltung der abgebildeten Personen wirken zeitlos, Hinweise auf die Lebensumstände, den privaten Lebensraum fehlen. Du blendest das persönliche Umfeld weitgehend aus. Was ist es, was dich am Menschen interessiert?

MC: Das klassische Einzelporträt, das versucht anhand der Physiognomie Wesens- oder Charakterzüge des individuellen Menschen zu zeigen, interessiert mich nicht. Es geht mir nicht um den Menschen als Individuum. Ich nutze die Physiognomie ganz bewusst als Projektionsfläche, um bestimmte Werte zu visualisieren, die sich hinter der Oberfläche, hinter den Gesichtern verbergen. Alle Hinweise auf das Individuum, auf einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Zeit würden von diesen Werten nur ablenken.

RM: In den Serien Novizen und Eleven, aber auch in den Einzelbildern geht es dir um Werte wie Unberührtheit, Reinheit und Anmut, die du anhand der Menschendarstellungen sichtbar machen willst. Wo findest du deine Modelle? Wie wählst du deine Modelle aus?

MC: Für meine Serien bin ich zum Fotografieren in meine Heimat, nach Polen, gefahren. Für die Serie Novizen habe ich in polnischen Klöstern fotografiert. Meine Modelle für die Serien Eleven und Eleven 2 habe ich in Knabenchören und Schulklassen gefunden.
Die Auswahl der Modelle für die Einzelporträts dagegen geschieht meistens ganz spontan, aus einem Bauchgefühl heraus. Ich halte die Augen ständig offen, scanne Gesichter, bin permanent auf der Suche nach der richtigen Physiognomie, dem richtigen Ausdruck, der richtigen Haltung, die genau in meine Bilder passt. Wenn der Funke dann überspringt, wenn ich das richtige, das noch fehlende Gesicht auf der Straße sehe, verdichtet es sich für mich, vor meinem inneren Auge bereits zu dem späteren Bild. Dieses Gesicht muss ich dann einfach fotografieren.

RM: Wieso kommen die meisten Modelle aus Polen?

MC: Es ist kurios, selbst in Deutschland spreche ich ungewollt, unterbewusst immer wieder slawische Typen an. Es sind offensichtlich bestimmte Momente in den Gesichtern, die an eine Seite in meiner Vergangenheit rühren und mich an meine Herkunft, meine Kindheit, meinen Ursprung erinnern und die ich mit ganz bestimmten Werten verbinde. Dabei müssen diese Werte nicht zwingend etwas mit der konkreten Person zu tun haben, es sind vielmehr bestimmte Menschentypen, Physiognomien mit bestimmten Merkmalen, die für mich Werte wie Unberührtheit, Unschuld oder Reinheit transportieren.

RM: Das Habit der Novizen, aber auch die weißen Hemden und Blusen der Eleven, die an eine Schuluniform denken lassen, uniformieren die Porträtierten, nehmen deren Individualität bereits zurück, zudem lassen sich die Fotoarbeiten so weder datieren noch verorten.

MC: Das ist ideal. Durch die zeitlose Kleidung, das Habit, die Kutte oder auch durch die Schuluniformen werden die Werte, die ich mit meinen Fotografien transportieren möchte, noch unterstützt.

RM: Aber auch die Einzelporträts erscheinen losgelöst von Ort und Zeit. Wie gehst du vor, um die zeitlose Anmutung zu erzielen?

MC: Wenn ich eine Person auf der Straße finde, verabrede ich einen Fototermin, möglichst bei dem Modell zuhause. Es sind ja meistens junge Leute oder Kinder, die sich in der gewohnten Umgebung am wohlsten fühlen. Dort suchen wir dann gemeinsam aus der vorhandenen Kleidung ein Stück aus, das meinen Vorstellungen nahe kommt, möglichst schlicht und zeitlos wirkt. Da aber gerade junge Menschen häufig sehr modische Kleidung in ihrem Kleiderschrank haben, bringe ich für alle Fälle auch immer ein „Notfallhemd“ oder ein „Notfallblüschen“ mit. Es geht mir vor allem darum, dass die Kleidung in den Hintergrund tritt, sich die Aufmerksamkeit ganz auf das Gesicht konzentriert.

RM: In der Regel verändert die Präsenz einer Kamera das Verhalten der Menschen vor der Kamera. Einige der Mädchen und Jungen, der jungen Frauen und Männer auf deinen Fotografien wirken, als hätten Sie die Kamera vergessen. Ihr Blick geht in eine unbestimmte Ferne, sie wirken versunken, nach innen gekehrt, aber auch gelöst, als wären sie in einer anderen Welt. Wie gelingt es dir, dass die Porträtierten die Kamera fast vergessen?

MC: Wenn alles gut geht, dann gibt es diese Momente, in denen die Kamera nicht mehr präsent ist. Dafür brauche ich vor allem Zeit. Es dauert eine Weile, bis die Modelle auftauen, die Anfangsnervosität überwinden, Vertrauen fassen und eine gewisse Gelassenheit bekommen. Kinder bitte ich häufig, eine Mathematikaufgabe im Kopf zu lösen oder das Einmaleins durchzugehen. Vor allem wenn ich merke, dass es einem Kind schwer fällt, sich zu entspannen, es ununterbrochen kichert, sind solche Hilfsmaßnahmen praktisch. Häufig vergessen die Jungen und Mädchen ihre Umgebung dann, sind für einen Moment in ihrer eigenen Welt, ganz in sich selbst versunken. Bei Kindern funktioniert das meistens ganz gut.
Bei Erwachsenen ist es schwieriger, sie sind sich der Situation eher bewusst, aber auch hier helfen Ruhe und Gelassenheit. Nicht zuletzt trägt das ruhige, langsame Arbeiten mit meiner analogen Mittelformatkamera zu einer entspannten, gelassenen Atmosphäre bei. Zwischen den einzelnen Fotos können schon mal einige Minuten vergehen, bis alles stimmt.

RM: Gibst du ganz konkrete Regieanweisungen? Gibst du beispielsweise die Blickrichtung vor?

MC: Eigentlich überlasse ich nichts dem Zufall. Das beginnt, wie gesagt, bereits bei der Auswahl der Kleidung. Aber auch zur Körperhaltung mache ich ganz konkrete Vorgaben. Ich sage zum Beispiel: „Konzentriere dich bitte auf den und den Punkt.“ Ich korrigiere aber auch die Haltung, nehme beispielsweise eine Schulter zurück oder drehe den Kopf. Wenn man so will, werden die Modelle vor meiner Kamera zum Material, aus dem ich mein Bild forme.

RM: Einige deiner Bilder erinnern an klassische Porträtmalerei, beispielsweise an Jan Vermeers Das Mädchen mit dem Perlenohrring. Welche Rolle spielen Vorbilder aus der Kunstgeschichte für deine Bildkomposition?

MC: Die Porträtmalerei, Malerei überhaupt, spielt eine große Rolle für meine Arbeit. Schon lange bevor ich mich mit Fotografie beschäftigt habe, habe ich mich für Malerei, insbesondere die der alten Meister interessiert. So war ich ein Semester in Krakau als Gasthörerin in Kunstgeschichte eingeschrieben und habe mich während dieser Zeit intensiv mit Porträtmalerei auseinandergesetzt. Immer wieder schaue ich mir Porträts alter Meister an und studiere Gesten und Posen der abgebildeten Personen. Gerade bei den Novizen sind Assoziationen an klassische Porträtmalerei also vielleicht nicht ganz zufällig.

RM: Hast du die Novizin Larissa bewusst in der Pose des Mädchens mit dem Perlenohrring inszeniert?

MC: Nein. Ich wollte Larissa nicht von vorne herein in der Haltung des Mädchens mit dem Perlenohrring fotografieren. Aber Jan Vermeer ist einer meiner Lieblingsmaler und ich denke, dass mich die Haube der Novizin zu dieser Fotografie inspiriert haben könnte. Es könnte auch sein, dass ich die Fotografie dann aufgrund der Komposition ausgewählt habe, aber es war keine bewusste Inszenierung, das ist eher unterbewusst geschehen.

RM: Bei den Eleven lassen sich auf den ersten Blick keine Vorbilder aus der Porträtmalerei erkennen. Die klassische Komposition verleiht aber auch diesen Bildern eine ganz eigene Aura und trägt zur zeit- und ortlosen Anmutung wesentlich bei. Wie sieht deine Bildkomposition konkret aus?

MC: Ich wähle in der Regel das Halbprofil, Kopfneigung und Schulterhaltung entsprechen klassischen, ruhigen Posen. Die Bilder sollen Ruhe ausstrahlen. Zudem arbeite ich ausschließlich mit Tageslicht, das im Idealfall direkt von vorne kommt und das Gesicht möglichst gleichmäßig ausleuchtet. Das macht meine Fotoarbeiten weicher, vielleicht sogar etwas malerischer. Dann kommt natürlich auch noch der Moment im Labor dazu. Ich ziehe meine Bilder ja selber ab und dabei beeinflusse ich die Farbigkeit, aber auch den Hell-Dunkel-Kontrast ganz in meinem Sinne, sprich zugunsten des von mir gewünschten Ausdruckes – hin zu einem Hauch Verklärtheit beispielsweise. Zur zeitlosen Anmutung meiner Arbeiten trägt aber auch die Wahl der Namen bei. Bewusst wähle ich Namen, die keinem Modetrend unterworfen sind und die Fotografie so zum endgültigen Bild verdichten.

RM: Könnten die Porträtierten auch frontal in die Kamera schauen, wie bei Arbeiten von Thomas Ruff?

MC: Ich ziehe das Halbprofil vor. Der frontale Blick in die Kamera wäre für meine Arbeiten zu direkt, würde zu sehr den Kontakt, die Auseinandersetzung mit dem Betrachter suchen. Meine Menschenbilder sollen kein Gegenüber sein. Sie sind indifferenter, sollen Werte, Stimmungen, Gefühle transportieren, vielleicht auch Sehnsüchte wecken. Der frontale Blick in die Kamera erinnert mich zudem an Passbildfotografie und ist damit für mich zu sehr mit der Dokumentation verbunden. Ich suche einen anderen Ausdruck, eine gewisse Distanz zur Welt.

RM: Keiner der Porträtierten lächelt, selbst diejenigen, die etwas verklärt schauen, blicken dennoch ernst in die Kamera. Die Fotoarbeiten sind zwar leise, aber sie sind nicht süß oder weich gezeichnet.

MC: Ich sehe den Moment, den ich darstellen möchte, eher in einem ernsten, melancholischen, nachdenklichen, kontemplativen Gesichtsausdruck. Ein Lächeln wäre schon wieder zu viel.

RM: Deine Bilder sind eher kontemplativ denn konfrontativ, haben etwas Verträumtes, Entrücktes, wecken Sehnsüchte. Wie erzielst du diese Wirkung?

MC: Ich denke, da kommt alles zusammen: Physiognomie, Ausdruck, Kleidung, Pose, Bildkomposition und eben auch die Lichtführung verdichten sich zum Gesamtausdruck. Und, ich inszeniere meine Fotoarbeiten ja, um genau diesen Ausdruck zu erzielen. Das beginnt, wie gesagt, bereits bei der Auswahl der Modelle oder der Kleidung.

RM: Deine Fotoarbeiten wirken fast etwas „altmodisch“, etwas anachronistisch.

MC: Ja, ganz bewusst. Unberührtheit, Anmut und Reinheit sind ja auch ganz traditionelle Werte. Ich möchte diese Werte, die meine Kindheit und Jugend geprägt haben, in meinen Bildern festhalten, zumal ich denke, dass sie in den letzten Jahren ein wenig aus der Mode gekommen sind. Vielleicht können meine Arbeiten beim Betrachter ja wieder eine gewisse Sehnsucht nach diesen Werten wecken.