Luiza Margan, 2023

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geboren 1983 in Rijeka, Kroatien; lebt und arbeitet in Wien und Rijeka


Vita

Luiza Margan wurde in Rijeka, Kroatien, geboren und lebt derzeit in Wien. Sie studierte Malerei in Ljubljana, Slowenien, und Performative Kunst und Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Österreich.

Mit ihren Skulpturen, Installationen, Filmen und Interventionen im öffentlichen Raum untersucht sie die Diskrepanz zwischen offizieller Geschichtsschreibung und unsichtbaren Geschichten, Machtverhältnissen und ideologischen Systemen, die in den öffentlichen Raum und das kollektive Gedächtnis eingeschrieben sind. Ihre Arbeit entsteht aus Feldforschung, historischem Material und dem performativen Einsatz des eigenen Körpers. Durch das Sammeln und Rekontextualisieren gefundener Materialien konstruiert sie neue Objekte, schafft neue Umgebungen und Sehweisen.

Die Künstlerin hat in zahlreichen internationalen Museen und Galerien ausgestellt und hochgelobte künstlerische Veranstaltungen und Performances im öffentlichen Raum ins Leben gerufen. Ihre Werke sind in internationalen öffentlichen und privaten Kunstsammlungen vertreten, u. a. in der Generali Sammlung Salzburg, im Museum für zeitgenössische Kunst Belvedere 21, Wien, im Museum für zeitgenössische Kunst, Zagreb, und im Tabakmuseum, Ljubljana.

Neben zahlreichen Auszeichnungen erhielt sie 2008 das Fellowship des International Studio and Curatorial Program (ISCP) in New York sowie 2019 das Stipendium für Visuelle Kunst und Medien der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. Zurzeit ist Luiza Margan Artist-in-Residence 2023 der ZF Kunststiftung in Friedrichshafen.

Katalogtext

Versteckte Zwischenspeicher.
Luiza Margans unheimliche Landschaften in uns

Nora Sternfeld

Über der wunderschönen Seelandschaft Friedrichshafens thront der Turm des Zeppelin Museums, eines modernistischen Gebäudes, das von 1929 bis 1933 als Hafenbahnhof erbaut wurde – bei seiner Beschreibung wird oft von Bauhaus-Stil oder International Style gesprochen. Heute ist hier ein Museum, das, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, „sich den innovativen Prozessen in Technik, Kunst und Gesellschaft verschrieben hat“1 und als historisches Museum unter anderem die Geschichte des Zeppelins erzählt, während es als zeitgenössischer Kunstraum wechselnde Ausstellungen präsentiert. Ganz oben in diesem Gebäude, mit Ausblick in alle Richtungen, befindet sich ein residency space der ZF Kunststiftung, in dem zeitgenössische Künstler:innen ein Jahr Zeit haben, um etwas zu entwickeln. In diesem Turmatelier hat Luiza Margan viele Monate des letzten Jahres verbracht. 

So weit einer der Kontexte, in dem Luiza Margans Ausstellung Cache steht, die als Künstlerin selbst immer vom Kontext ausgeht, um ihre künstlerischen Auseinandersetzungen und Untersuchungen zu entwickeln. Ich würde sogar sagen, dass Luiza Margan den Kontext zu ihrem Medium macht, um sich den unheimlichen und verborgenen Geschichten der Orte zu stellen, an denen ihre Arbeiten entstehen, aber auch und vor allem den unheimlichen und verborgenen Geschichten in uns.

Aber was heißt hier Kontext? Ein viel gebrauchtes Wort der Kunst seit den 1960er bzw. spätestens seit den 1990er Jahren2 wird bei Luiza Margans forschungsbasierten Arbeiten zur körperlichen und materiellen Auseinandersetzung mit dem Unarchivierbaren3, also mit dem Zwischenraum zwischen der offiziellen Geschichtsschreibung, der marketinggerechten Topografie einerseits und den verborgenen Geschichten und unsichtbaren Machtverhältnissen andererseits. Und genau dieser Zwischenraum ist das Medium der Arbeiten von Luiza Margan, deren genaue Archivarbeit, Feldforschungen und Untersuchungen nichts festmachen, sondern die vielmehr nicht aufhören, nach dem Verschwiegenen, nach dem, was unter der Oberfläche insistiert,zu suchen, und uns einladen, den unheimlichen Dimensionen der Geschichte zu begegnen – eben den unarchivierbaren Kontexten, die die Gegenwart, unsere Sprache und unsere Körper heimsuchen. 

Der erste Kontext der Arbeit, da sie ja dort im Prozess entwickelt wurde, ist also ein Atelier mit Ausblick, ein Ort der Kunstproduktion. Und wenn wir nun schon von sedimentierten Geschichten ausgehen, dann können wir sagen, es ist auch die Geschichte aller künstlerischen Projekte, die seit 1996 hier entstanden sind, und sogar die Geschichte der Arbeiten, die nachher hier entstehen werden. Denn bei einer Residency treffen immer zwei Perspektiven zusammen: der künstlerische Blick von außen und der Ort, auf den er fällt. In diesem Sinne stellt einen weiteren Kontext der Arbeit – und das ist für ihre situierte, verkörperte Praxis immer wichtig – Luiza Margan selbst dar, ihr Blick und ihre Geschichte. So lässt sie ihre künstlerische Produktion aus den verborgenen Dimensionen ihres Kontexts erwachsen und bringt sie als Echo in den Raum, in den sie uns wiederum einlädt. Denn Kontext, das sind sicherlich auch wir – der Lebenslauf und die Geschichten der jeweiligen Betrachter:innen. Es geht also auch um das, was wir mitlesen, wenn wir an der Scheibe des Ausstellungsraums in großen roten Neon-Lettern lesen:

„THERE IS ALWAYS SOMEONE
LOOKING THROUGH THE WINDOW
FROM THIS TOWER”4

Die Installationen Luiza Margans sind in diesem Sinne situierte Auseinandersetzungen.5 Folgen wir ihnen im Zusammenhang mit der Ausstellung Cache in konzentrischen Kreisen: Situiert ist die Untersuchung, der wir hier begegnen, zuerst in diesem Turm, in einem Atelier der ZF Kunststiftung6, deren „Engagement für Kunst und Kultur“ fester „Bestandteil der Corporate Identity“ ist7, in einem Gebäude, das nicht nur die Moderne in den Raum stellte, sondern auch Spuren von deren verdrängter Verstrickung mit völkischen Selbstverständnissen oder gar von Gestaltungselementen des faschistischen Futurismus trägt – der modernistische Transitraum suggeriert vor allem im Stiegenhaus dynamische Linien und gezackte Formen, seine Anlage zitiert Überwachungsarchitekturen. Das Gebäude steht insgesamt sicherlich im Geiste seiner Zeit: Im Eröffnungsjahr des neuen Hafenbahnhofs 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht.

Situiert ist die Auseinandersetzung des Weiteren in Friedrichshafen: Eine deutsche Stadt am Bodensee, geprägt von ihrem unbändigen Stolz auf die Geschichte des Zeppelins, eine Stadt, die sich wie vielleicht viele Städte in Deutschland, jedenfalls solche, in denen die Waffenindustrie eine Rolle spielte und spielt, dieser Geschichte und Gegenwart zugleich stellt, deren Erinnerung, sich der Auseinandersetzung aber doch auch immer wieder entledigt, vielleicht sogar mit den Mitteln der Kunst. So geht es in der Arbeit von Luiza Margan eben um Kontext als Einladung, uns dem Unheimlichen in Vergangenheit und Gegenwart, dem Unheimlichen in uns zu stellen. Dafür gräbt Luiza Margan dort, wo die Residency sie hinführte: im Boden der unheimlichen Landschaft des Friedrichshafener Ortsteils Raderach. Im Raderacher Forst wurden 1942 ein Prüfwerk mit drei Raketen-Testständen und ein Sauerstoffwerk8 errichtet. Hier wurden Teile für die sogenannte „Wunderwaffe“, die V2-Rakete der Firma Luftschiffbau Zeppelin in Friedrichshafen, getestet. In Oberraderach befand sich auch ein KZ-Außenlager von Dachau – vom 22. Juni 1943 bis 29. September 1944 waren hier über 1200 Menschen inhaftiert, die für den Bau der A4-Halbschalen beim Luftschiffbau Zeppelin eingesetzt wurden.9 Luiza Margan bringt Erde von dort, wo das Barackenlager stand, in den Ausstellungsraum. Das geht wohl nicht, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, und nicht, ohne die Weiße des Ausstellungsraumes zu stören, dessen Wände sie mit der Erde von Raderach so bemalt, dass die schlammige Textur sichtbar bleibt.

Auf der Suche nach der Geschichte auf dem Gelände von Raderach erscheint dieses der Künstlerin wie eine merkwürdig unmarkierte Ruine. Während sie deren Spuren folgt, stellt sie fest, dass es sich um ein „Geheimprojekt“ handelte, nicht nur, weil es ein Lager war, sondern auch, weil die Entwicklung der Rakete und die damit verbundenen Tests nicht öffentlich werden sollten. Und doch, so findet sie heraus, waren diese offenbar so laut, dass sie über den gesamten Bodensee bis in die Schweiz hörbar waren – ein ohrenbetäubendes Stillschweigen also, dem die Künstlerin forschend nachgeht. Zugleich wollte niemand gewusst haben, was hier geschah … Sie schreibt: „Es ist schwer, etwas kennzeichnen zu wollen, das damals (vor nicht allzu langer Zeit) ein Geheimnis war. Ist es vielleicht besser, es auch jetzt im Geheimen zu lassen? Wen betrifft es?
Wem gehört das Geheimnis? Und was bedeutet es, wenn wir nicht wissen, dass es da ist?“10

Bei ihren Recherchen beschäftigt sich Luiza Margan also mit dem Schweigen und dem Geheimnis, das, wenn wir es zu hören beginnen, nicht aufhören kann, in der Gegenwart zu insistieren. Dabei widmet sie sich nicht nur den verborgenen Kontexten der Verbrechen und der Gewalt, sie sucht auch nach Spuren und Überlieferungen des Widerstands. Bei ihren Recherchen begegnet sie einer kleinen Gruppe mutiger Aktivist:innen, die aus der Arbeiter:innenbewegung hervorgingen. Luiza Margan erfährt in Archiven und dank des Wissens und der Arbeit lokaler Historiker:innen und Geschichtsaktivist:innen zum Beispiel von den Widerstandskämpfern Georg Elser und Fridolin Endraß. Letzterer wurde von den Nationalsozialisten gefasst, als er Flugblätter in den Reifen seines Fahrrads transportierte, mit dem er aus der Schweiz zurückfuhr. Sie beschäftigt sich mit dem Informationsaustausch, mit der Art und Weise, wie die Menschen miteinander kommunizierten und dabei ihre Freiheit und ihr Leben riskierten. Ihre Verstecke und Anstrengungen, die ständigen Gefahren, die geheimen Orte und Wege, das Geflüster in der Hoffnung auf Freiheit waren eine wichtige Inspiration für die Arbeiten an der Ausstellung. Das Geheime wird wiederum zum unheimlichen Material der Installation. Wir können es nicht direkt fassen, aber wir können ihm vielleicht in den Spinden begegnen, die inmitten der braunen Wände stehen.

Die dekonstruierten Spinde fungieren als Raumteiler. Sie sind eine durchschnittene und wieder zusammengesetzte Rekonstruktion von klassischen alten Industriearbeiten – Spinde von Arbeiter:innen für Arbeiter:innen, die sich selbst und den Raum öffnen und schließen. Luiza Margan versteht sie als „Körper“, als Behälter mit einem Innen und einem Außen, mal mehr, mal weniger exponiert. Sie bergen und präsentieren antifaschistische Bücher, verweisen auf die Verstecke und auf die Flugblätter, denn in das Metall hat Luiza Margan etwas eingeschrieben: Worte wie „Augen Auf“, „Widerstand“ oder „Freiheit“, deren Typografie und Wortlaut sie direkt aus historischen deutschen und internationalen antinazistischen Postkarten, Flugblättern und Widerstandsschriften übernommen hat. So wie die Raumteiler, die den Raum öffnen und schließen, zugleich zeigen und verstecken, wird auch an den Wänden die Stillstellung zugleich thematisiert und aufgebrochen. An den Wänden schneiden vier schwarze Fahrradschläuche durch weißen, schalldichten Schaumstoff. Luiza Margan nennt diese Assemblagen „stille Landschaften“ und „ein gestörtes schalldämmendes System“. So scheint das Schweigen der stillen Landschaft also durch die Assemblagen gebrochen, durchkreuzt durch Wege des Widerstands.

Cache ist eine Bezeichnung für den „versteckten Zwischenspeicher“ unserer Geräte, im Cache ist das, was sich der Computer merkt, wenn es eigentlich nicht mehr da ist. Für eine Zeit ist also etwas zugleich versteckt und gespeichert. Die situierte Praxis Luiza Margans legt eine Landschaft von zugleich schweigenden und schreienden Gewaltgeschichten frei, die zeitlich gar nicht so weit zurückliegen und politisch in verschiedenen Strömungen im heutigen Europa weiterwirken. So widmet sie ihre Arbeit diesem unarchivierbaren unheimlich-untoten Wissen, das eher insistiert als existiert. Sie fördert dabei nicht nur Unarchiviertes zutage, um neues Archivmaterial hinzuzufügen – vielmehr bringt sie das Insistieren des Unarchivierbaren zum Vibrieren, macht es unleugbar, ohne es sich zurechtzulegen, ohne es zu simulieren oder zu verwerten.

1 https://www.zeppelin-museum.de/de/museum/konzept (letzter Zugriff: 15.12.2023)
2 Vgl. Peter Weibel (Hg.), Kontext Kunst, Graz 1993.
3 Die Auseinandersetzung mit dem „Unarchivierbaren“ war Teil der Forschung des Langzeitprojekts „Spectral Infrastructure“ von freethought am BAK in Utrecht, https://www.bakonline.org/program-item/lancering-an-anec-
doted-archive-of-exhibition-lives/ (letzter Zugriff: 15.12.2023). Irit Rogoff und ich beschäftigten uns mit dem Unarchivierbaren als das Gespenstische, das das Archiv heimsucht, mit den Mitteln, die einen solchen Spuk ermöglichen, und damit wie eine Arbeit am Unarchivierbaren nicht nur den Inhalt des Archivs, sondern auch das Konzept des Archivs selbst verändern könnte.
4 Der Satz ist so etwas wie ein „Tagesrest“ einer Lektüre Luiza Margans während ihrer Residency. Er stammt aus der Publikation: CONNY, Fion Pellacini, Karimah Ashadu, Nina Kuttler, Nina Zeljkovic, Reisestipendien 2021, hrsg. v. Eva Birckenstock (Neue Kunst in Hamburg e. V.), Hamburg 2021, https://www.textem-verlag.de/textem/kunst/487 (letzter Zugriff: 15.12.2023).
5 Vgl. Donna Haraway, „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective“, in: Feminist Studies, 3, 1988, S. 575–599, http://www.staff.amu.edu.pl/~ewa/Haraway,%20Situated%20Knowledges.pdf (letzter Zugriff: 31.10.2023)
6 Informationstext der Stiftung, https://zf-kunststiftung.com/stiftung/information/ (letzter Zugriff: 31.10.2023). „Die ZF Kunststiftung wurde 1990 gegründet. Die ZF Friedrichshafen AG feierte in dem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen. Das Jubiläum war ein willkommener Anlass, um das Engagement für Kunst und Kultur, das fester Bestandteil der Corporate Identity ist, in neue Bahnen zu lenken. ZF wollte ein Zeichen setzen und eine Institution ins Leben rufen, die Bestand hat und den Menschen in der Bodenseeregion, zu denen ja auch viele ZF-Mitarbeiter gehören, langfristig zugutekommt.“
7 Mehr zum Kontext der ZF Friedrichshafen AG: https://www.waffenvombodensee.com/zf-friedrichshafen/, zu deren Selbstbeschreibung siehe auch hier: www.zf.com (letzter Zugriff auf beide Seiten: 15.12.2023)
8 Vgl. http://www.kz-gedenkstaette-friedrichshafen.de/don/KZ.htm (letzter Zugriff: 15.12.2023)
9 Vgl. Christa Tholander, „Als Dachau im Juni 1943 nach Friedrichshafen kam – KZ-Häftlinge, die V2 und das Unternehmen Luftschiffbau Zeppelin GmbH“. In: Friedrichshafener Jahrbuch für Geschichte und Kultur, 6 (2014), S. 176–235.
10 In einer E-Mail von Luiza Margan an Nora Sternfeld vom 28.10.2023.
Blick in die Ausstellung

Cache, 2023; Installationsansicht ZeppLab Zeppelin Museum Friedrichshafen; © Luiza Margan / VG Bild-Kunst, Bonn 2024; Video: Rafael Krötz, Stuttgart
Alle biografischen Angaben wurden zum Zeitpunkt des Stipendiums verfasst und haben keinen Anspruch auf Aktualität. Für nähere Informationen besuchen Sie bitte die Webseiten der Künstler:innen, sofern vorhanden und hier aufgeführt.