Michael Fliri, 2014

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geboren 1978 in Taufers i. M., Südtirol; lebt und arbeitet in Wien und Italien

 


Vita
1999 – 2003
Accademia di Belle Arti Bologna, Akademie der Bildenden Künste München und Kunstakademiet Bergen
Preise und Stipendien (Auswahl)
2014
Stipendium ZF Kunststiftung
2008
Museion Artist Award
Artist-in-Residence, Dena Art Foundation
Foundation for Contemporary Art at the Centre International des Récollets, Paris
2005
Ehrenpreis der Jury, Internationales Performance Prize Festival, Trento
Einzelausstellungen (Auswahl)
2014
Where do I end and the world begins, ZF Kunststiftung im Zeppelin Museum Friedrichshafen
2010
Hinter der Vierten Wand, Generali Foundation, Wien
2007
Gravity, Museion Bozen
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2015
Avatar und Atavismus, Kunsthalle Düsseldorf
Sammeln für morgen: neue Werke im Museion, Museion Bozen 
2014
Tirol-München, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck
2012
Hors Pistes. Un autre mouvement des images, Centre Pompidou, Paris
Galerievertretung

Galleria Raffaella Cortese, Mailand

Katalogtext

Where do i end and the world begins

Günther Dankl

Where do I end and the world begins ist der geradezu programmatisch klingende Titel für die Ausstellung von Michael Fliri im Grenz-Raum des Zeppelin Museums Friedrichshafen. Mit ihr beendet der 1978 in Taufers  im Münstertal / Tubre in Südtirol geborene Künstler sein Stipendium der ZF Kunststiftung, das ihm von der Jury für 2014 zugesprochen wurde. Gezeigt werden 18 ganz in schwarz gehaltene Masken-Skulpturen unterschiedlicher Stärke und Größe, die der Künstler eindrucksvoll präsentiert, indem er sie jeweils einzeln auf schlanken, hellen Holzpodesten im Raum arrangiert. Nur, was auf den ersten Blick wie echte Masken aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Abgüsse der Innenseiten von Originalmasken aus aller Welt, die sich der Künstler aus dem Internationalen Maskenmuseum Diedorf entliehen hat, sowie eine Krampusmaske, die der Künstler in seiner Jugendzeit selbst getragen hat. Diesen auf diese Weise neu geschaffenen Masken hat Fliri als neue Innenseiten wiederum Abgüsse unterschiedlicher Vorderseiten der Masken sowie zweimal Abgüsse seines eigenen Gesichtes aufgesetzt. Durch das Öffnen der Augen blicken somit Masken durch Masken hindurch.

Michael Fliri knüpft mit dieser Ausstellung an das Thema der Maske und dem damit verbundenen Transformationsprozess an, das sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes künstlerisches Schaffen zieht: Come out and play with me lautet zum Beispiel der Titel einer Performance, die der Künstler 2004 durchgeführt hat. Zu Beginn mit einem weißen Schafskostüm bekleidet, verwandelt sich Fliri dabei durch eine Umkehrung von innen und außen allmählich in ein Schwein und wieder zurück in ein Schaf. Dieses Motiv von innen und außen, vorne und hinten, findet sich ebenso in der 2007 entstandenen Fotoserie all right… all right, in der er unterschiedliche, mit bunten Kabelbindern hergestellte und vor das Gesicht gehaltene Masken so fotografiert, als würden die Kabelbinder durch seinen Kopf hindurch bis an die Rückseite reichen. Jede Maske bildet zugleich ein in sich eigenständiges Paar und lässt sich flexibel von beiden Seiten tragen. Zwei Jahre später verwandelt er sich in der im Museion in Bozen durchgeführten Performance From the forbidden zone (2009) in eine sich zwischen Animalischem und Science-Fictionalem bewegende Fantasiefigur und in seiner skulpturalen Arbeit Ways around the Urschlamm (2010) hält er mittels geschnitzter Masken acht Augenblicke der Transformation fest, in der sich sein eigenes Gesicht in das einer Kuh verwandelt. Das in allen hier aufgeführten Arbeiten anklingende Thema der Maskierung und der damit verbundenen Verwandlung greift er 2013 in der Arbeit Returning from places I’ve never been auf, in der sich sein Gesicht mit Latex-Prothesen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Mit fortschreitendem Auftrag gewinnt das wie eine Maske anmutende Gesicht schrittweise an Volumen, während sich im Gegenzug die individuellen Züge des Künstlers in immer abstraktere Formen auflösen. 

Wie in den bereits genannten Arbeiten sind es vor allem zwei Aspekte, die in der Performance Returning from places I’ve never been zum Tragen kommen: Einmal, dass in ihr die Frage nach Identität und Identitätsbildung zentrales Thema ist; zum Zweiten ist es der Aspekt der Transformation, das heißt der Verwandlung, der hier ebenfalls zum Ausdruck kommt und der dem Künstler die Möglichkeit bietet, Grenzen auszuloten und die Welt aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten: „Verkleidungen und Masken erlauben es, in eine andere Person zu schlüpfen. Ich verkörpere mit Vorliebe wenig definierte Gestalten, die es mir ermöglichen, einen naiven Blick auf die Wirklichkeit zu werfen“, so Fliri. Authentisch gemacht wird hier der Aspekt der Transformation in erster Linie durch das Auftragen der Latex-Prothesen und der Farbe des Make-ups. Damit ist es die Handlung der Maskierung beziehungsweise die Maske selbst, die in diesem Fall an zentraler Stelle steht und somit eine inhaltliche Überleitung beziehungsweise Brücke zur Ausstellung Where do I end and the world begins bildet.

Michael Fliri schaut gleichsam auf das, was hinter der Maske sichtbar wird. Er interessiert sich dabei jedoch weniger für das Spannungsfeld, das sich zwischen dem Maskierten und dem Betrachter öffnet, sondern vielmehr für den „Zwischenraum“, der sich zwischen der Maske und dem Träger der Maske selbst auftut. Fliri lenkt sein Augenmerk nicht nur, wie dies üblicherweise der Fall ist, auf die Außenseite der Maske, sondern gießt auch die zumeist kaum oder wenig beachtete Innenseite der Masken ab und macht diese als Positivform zur Außenseite einer so entstandenen skulpturalen Maske. Mit dieser Umkehrung verwandelt er nicht nur die Funktion der Maske, sondern macht zugleich das an und für sich Unsichtbare, das heißt das „Nichts“ zur Skulptur und zu einer neuen Maske.

In einem Beitrag zum Schaffen der englischen Künstlerin Rachel Whiteread hat der Philosoph und Kunstkritiker Richard Noble Whitereads Abgüsse von Wänden, Treppen oder ganzen Innenräumen einmal als eine „Archäologie der Abwesenheit“ bezeichnet: „Die Geschichte eines leeren Raums erwacht in neuer Ausformung zu neuem Leben. Sowohl der Fußboden als auch die in ihm enthaltenen Informationen signalisieren etwas anderes, sobald Whiteread sie abgeformt und gegossen hat. Die historische Information wird deutlicher und verweist uns auf die Vergangenheit eines bestimmten Raums, aber auch auf die persönlichen und politischen Möglichkeiten, welche die Wiedergewinnung verlorener, vergessener Geschichte und Erfahrung bereithält“ 1. Während bei Whiteread gleichsam die „Leere zur Skulptur“ wird – und dadurch „die Alltagswelt des Menschen mit seinen Relikten aus Möbeln und Räumen zum Monument gemacht wird“2 – macht Fliri in seiner Arbeit hingegen das Nichts, den Raum zwischen dem Träger und der Maske, der dadurch Material und Maske zugleich wird, sichtbar. Damit hebt er die Grenze zwischen dem „Ich“ und dem „Wir“ auf und öffnet ein Fenster zu einer neuen „Welt“, in der sich Inneres und Äußeres begegnen beziehungsweise ineinander fallen. Was dabei an die Oberfläche kommt, sind die unterschiedlichen Spuren ihres Herstellungsprozesses, das heißt die feinen oder groben Arbeitsspuren, die sich nunmehr sichtbar nach außen wölben und damit der Masken-Skulptur nicht nur ihr neues formales „Gesicht“ sondern mitunter auch wiederum eine neue mystische Dimension verleihen, die Masken in allen Kulturen im Vorhinein zugesprochen wird. 

Fliris Masken-Skulpturen setzen damit eine Fülle an Bedeutungsinhalten frei: Sie machen die Funktion sowie die Geschichte und den Herstellungsprozess der einzelnen Masken sichtbar und zeigen, dass dem an und für sich nicht Sichtbaren und Unscheinbaren durch die Sichtbarmachung eine neue Wirkungs- und Aussagekraft zu eigen ist, der man sich als Betrachter nur schwer entziehen kann. Die Geschichte einer Maske und ihrer rituellen Verwendung erwacht in der Ausformung zu neuem Leben und setzt damit Verborgenes mit Bekanntem und Unscheinbares mit Bedeutungsvollem in Beziehung.3 Darüber hinaus bringt Fliri die Masken durch ihre skulpturale Gestaltung mit anderen, zum Beispiel kunstimmanenten Bedeutungen in Verbindung. So verweisen sie als formale Objekte auf das weite Feld der Kunstgeschichte, angefangen von einer expressiven dynamischen und bewegten Formgebung bis hin zu minimalistischen und abstrakten Ausformungen.

Michael Fliri macht mit seinen Abgüssen der Innenseiten von Masken jedoch nicht nur neue, gleichsam zur Skulptur gewordene, zwischen innen und außen wechselnde Räume sichtbar, sondern vereint die so entstandenen skulpturalen Masken auf der Rückseite wiederum mit der Vorderseite anderer Masken, die durch die vom Künstler geöffneten Augenschlitze durch diese hindurchschauen. Jedes Maskengesicht erhält somit als neue Rückseite die Negativform der Vorderseite einer Maske. Diese neu geschaffene Rückseite wird mit der Positivform der ursprünglichen Innenseite einer weiteren Originalmaske kombiniert und bietet sich in der Masken-Skulptur als neue Vorderseite dem Betrachter an. So kann etwa eine Maske aus Mexiko durch eine japanische hindurchschauen oder die Innenseite einer Maske aus Korea zum Beispiel mit dem Äußeren einer solchen aus Tibet in Berührung kommen. Der Künstler öffnet damit ein spannendes multikulturelles Beziehungsfeld, das nicht nur die Durchdringung und Überlagerung unterschiedlicher Kulturen zum Inhalt hat, sondern darüber hinaus auch als Ausdruck der politischen sowie gesellschaftlichen Situation unserer Zeit angesehen werden kann.

Wie ein Blick auf die Verwendung der Maske in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts und der Gegenwart zeigt, diente beziehungsweise dient die Maske einer Reihe von Künstlerinnen und Künstlern als geeignetes Mittel dazu, um in einer distanzierten Haltung die Welt von außen zu betrachten.4 Ein Topos, den Friedrich Nietzsche einmal als „ein ‚Hinaussehen‘ aus sich selbst“ 5 bezeichnet hat. Mit Where do I end and the world begins knüpft Michael Fliri an frühere Arbeiten an. Wie dort verwendet er auch hier die Maske nicht als eine reine Gesichtsbedeckung, hinter der sich sein Ich verbirgt und die in ihrer etymologischen Herkunft in erster Linie auf das arabische Wort „maschara“, das heißt „Possenreißer“, zurückzuführen ist. Seine Verwendung der Maske als künstlerisches Ausdrucksmittel hingegen hat viel mehr mit der Herkunft der Maske vom altgriechischen Wort „prósopon“, das heißt lateinisch „persona“ zu tun, mit dem ursprünglich eine im antiken griechischen Theater verwendete Maske, welche die Rolle des Schauspielers typisierte, bezeichnet wurde und von dem sich der Begriff der Person und des Individuums ableitete. 

„In die Maske gehen“ meint im Theater nicht nur in den Schmink-raum gehen, sondern auch „in die Figur“ gehen. „In die Maske gehen“ bedeutet dann auch, so der Theaterwissenschaftler und Regisseur Ekkehard Schönwiese, „dass ein Schauspieler, der eine Maske bekommt, mit seinem ganzen Körper in die Figur hineingeht und dabei sein Gesicht sozusagen im Spiegel verschwinden lässt“ und, so Schönwiese weiter: „Masken sind Erscheinungen außerhalb unserer alltäglichen Wahrnehmung von Raum und Zeit […] Bin ich mir des Tragens einer Maske bewusst, so bin ich gleichzeitig bei mir und außer mir.“ 6

Die hier zitierte Aussage von Ekkehard Schönwiese kann nicht nur auf das gesamte performative Schaffen von Michael Fliri umgelegt werden, sondern trifft auch auf die Ausstellung Where do I end and the world begins zu. Auch bei Fliri werden die Beziehungen zwischen Maske, Träger und Betrachter neu beleuchtet und neue, vorher noch nie in Erwägung gezogene Möglichkeiten der Betrachtung und der damit verbundenen Wahrnehmung und Interpretation geschaffen. Fliris expressiv bewegt bis ruhig abstrakt wirkende Masken-Skulpturen geben dem „Nichts“ eine Form und setzen damit neue Bedeutungsinhalte und Betrachtungsmöglichkeiten frei.

1 Richard Nobel: Spurenlese, in: Rachel Whiteread, Katalog Kunsthaus Bregenz, herausgegeben von Eckhard Schneider, Köln 2005, S. 69.
2 Eckhard Schneider: Konstruktionen des Ephemeren, in: Rachel Whiteread (wie Anmerkung 1), S. 9.
3 In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass Masken sowohl im aufgesetzten als auch im ruhenden Zustand seit jeher eine große Wirkkraft besitzen: Weit mehr als ein materielles Objekt, ist sie „Mittlerin zwischen verschiedenen Wirklichkeiten, Bindeglied zum Magischen, vereint das Materielle und das Immaterielle.“ Vgl. Herlinde Menardi / Karl C. Berger: Hinter der Maske, in: Hinter der Maske, Bozen 2014, S. 13.
4 Vgl. dazu: Ralf Beil / Guy Cogeval / Flemming
Friborg (Hg.): Masken: Metamorphosen des Gesichts von Rodin bis Picasso, Osterfilden 2009, bzw. Hans
Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München 2013.
5 Friedrich Nitzsche: Kritische Studienausgabe, München 1967 / 77, Bd. 6, S. 263; hier zitiert nach: Helena Pereña: Ich bin Maske, in: Hinter der Maske (wie Anmerkung 3), S. 40.
6 Ekkehard Schönwiese: Komm in die Maske. Meditationen – Gedanken – Geschichten, in: Hinter der Maske (wie Anmerkung 3), S. 89f.
Alle biografischen Angaben wurden zum Zeitpunkt des Stipendiums verfasst und haben keinen Anspruch auf Aktualität. Für nähere Informationen besuchen Sie bitte die Webseiten der Künstler:innen, sofern vorhanden und hier aufgeführt.