Josef Schulz, 2007

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geboren 1966 in Bischofsburg, Polen; lebt und arbeitet in Düsseldorf


Vita
1993 – 2002
Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. B. Becher und Prof. T. Ruff Meisterschüler bei Prof. T. Ruff
Preise und Stipendien (Auswahl)
2013
Arbeitsstipendium für Video, onomato Künstlerverein, Düsseldorf
2011
Kunstinstallation im öffentlichen Raum am Pearson International Airport, CONTACT Photography Festival, Toronto
2010
Künstleraustausch: Düsseldorf – Moscow House of Photography, Moskau
2007
Stipendium ZF Kunststiftung
2002
Stipendium der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW
2001
Gewinner des db architekturbild, Europäischer Architekturfotograf 2001
Einzelausstellungen (Auswahl)
2013
poststructure, Fiebach & Minninger Galerie, Köln
2012
poststructure, Heinz-Martin Weigand Gallery, Berlin
2010
Berg och Gränser, Fotografins Hus, Stockholm
2009
übergang, Dollinger Art Project, Tel Aviv 
übergang, Kunsthaus Essen
2008
übergang_2, ZF Kunststiftung im Zeppelin Museum Friedrichshafen 
Formenlehre, Kunstverein Ludwigsburg
Galerievertretung

Fiebach & Minninger Galerie, Köln
Heinz-Martin Weigand Gallery, Berlin

Katalogtexte

übergang_2

Regina Michel im Gespräch mit Josef Schulz

RM: Josef, Du kombinierst seit einigen Jahren traditionelle analoge Fotografie mit digitaler Bildbearbeitung. Bei der Serie Centre Commercial hast Du Einzelbilder zu Panoramen zusammengesetzt, bei sachliches und Formen hast Du den Grad der Bildbearbeitung kontinuierlich gesteigert, den Ortsbezug und alle narrativen Elemente eliminiert. Was ist der Hintergrund für diese Entwicklung?

JS: Ende der 90er Jahre hatte ich das Gefühl, dass ich mit den mir in der klassischen Fotografie zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr weiter komme. Ich wollte mir gerne eine Arbeitsweise schaffen, die mich sehr viel unabhängiger macht und mir mehr Möglichkeiten gibt. Es war dann nahe liegend, zur Bildbearbeitung zu greifen. In der Serie Centre Commercial ging es zunächst darum, Situationen zu beschreiben, wie ich es mit der klassischen Fotografie nicht konnte. Während der Arbeit an dieser Serie haben sich mir Stück für Stück viele andere Möglichkeiten der Bildbearbeitung erschlossen und bereits nach relativ kurzer Zeit war mir klar, dass diese Form des digitalen Eingriffs ein wesentlicher Teil meiner Arbeit werden wird. Heute ist sie für mich einfach ein weiterer Arbeitsschritt. Vor allem habe ich dadurch eine viel größere Freiheit erlangt.

Ich weiß nicht, wann mir der Begriff zum ersten Mal bewusst wurde, aber der Schritt von abbildender zu bildgebender Fotografie ist für mich ausschlaggebend und beschreibt meine Arbeitsweise sehr gut.

RM: Für die Serie sachliches hast Du die banale, auf den ersten Blick wenig bildwürdige Architektur der Vorstädte fotografiert. Du hast die Ausgangsfotografien, beispielsweise von Lagerhallen, am Computer auf ihre geometrischen Strukturen reduziert und dabei Farbe und Form zugunsten eines malerischen, zum Teil skulptural anmutenden Ausdruckes gesteigert. Das Ergebnis sind Arbeiten, die aufgrund der starken Verfremdung und mit ihrer ganz eigenen Ästhetik nur noch wenig an das Ausgangsmaterial erinnern. Welche Bedeutung spielt das Ausgangsmedium, die analoge Fotografie, dann überhaupt noch für diese Serien?

JS: Die analoge Fotografie bleibt sehr wichtig. Sie ist stets Ausgangspunkt meiner Betrachtungen. In den Serien sachliches und Formen ist mir eine Transformation der Flächen wichtig. Als Basis benötige ich eine fotografische Vorlage, die mir als Skizze dient. Der Reichtum in der Oberfläche, in der Struktur kann nur über die Fotografie kommen, diesen Reichtum kann ich mir nicht erschaffen.

RM: Deiner jüngsten Serie übergang liegen wieder Fotografien von Zweckarchitekturen zu Grunde. Diesmal hast Du aufgelassene Grenzübergänge in der Europäischen Union fotografiert und digital bearbeitet. Grenzübergänge sind ja eigentlich keine Orte an denen man freiwillig länger verweilen möchte. Sie sind, wenn man so will, unwirtliche Orte, die man möglichst schnell verlassen möchte. Was macht für dich den Reiz dieser sinnlos gewordenen Grenzarchitekturen aus?

JS: Die Serie übergang hat einen autobiografischen Ansatz. Ich habe in meiner Jugend geschlossene Grenzen erlebt. Vor einigen Jahren stellte ich dann verwundert und fasziniert fest, dass es den Moment des Anhaltens an der Grenze, die Konfrontation mit den Grenzbeamten in Europa kaum noch gibt, dass meine Erfahrungen der Grenzübertritte, die ich mit vielen Menschen teile, obsolet geworden war. Diese Erfahrung, die Erleichterung, aber auch das Befremden wollte ich visualisieren. Ich finde es wichtig, diese Erinnerungen durch meine Arbeit wachzuhalten.

RM: Du bearbeitest in dieser Serie das Ausgangsmaterial weniger stark als bei anderen Serien. Warum diese Zurückhaltung?

JS: Von Anfang an war mir klar, dass die Serie diesmal einen dokumentarischen Charakter haben musste, gleichzeitig war es mir wichtig, dass es eine Verbindungslinie zu meinen bisherigen Arbeiten gibt. Ich habe einen Weg gesucht, dokumentarisch zu arbeiten, aber in einer mir angemessenen Art und Weise. Deshalb habe ich mir trotz des dokumentarischen Charakters bei der Serie übergang einige Freiheiten herausgenommen und bildnerisch eingegriffen.

RM: Obwohl Du den Ortsbezug zugunsten der Vergleichbarkeit und Fokussierung auf die Grenzarchitektur zurücknimmst, bleibt die Grenzsituation mit ihren nationalen Besonderheiten sichtbar …

JS: Eine wichtige Erkenntnis bei meinen Reisen war, dass die Erfahrung der Grenze, des Anderen, des Fremden, trotz offener Grenzübergänge und fehlender Kontrollen noch deutlich zu spüren ist. Obwohl man lediglich zwei-, dreihundert Meter gefahren ist, betritt man immer noch eine gänzlich andere Gesellschaft mit einer anderen Sprache, anderen Gewohnheiten und Werten, einer anderen Architektur, veränderten Straßennetzen und anderen Siedlungsstrukturen. Die Erfahrbarkeit des Unterschiedes hat mich erstaunt. Der Übertritt der Grenze ist auch sofort mit einem anderen Lebensgefühl verbunden.

RM: Die Serie erinnert in ihrer konzeptuellen Strenge und ihrem dokumentarischen Charakter an Arbeiten von Bernd Becher, bei dem Du studiert hast. Wenn man so will, bewahrst Du die Grenzübergänge, die sicherlich irgendwann verschwunden sein werden, in deiner Arbeit vor dem Vergessen. Welche Rolle spielt die Bedeutung der Grenzen als Zeitzeugen in deiner Arbeit?

JS: Eine sehr große. Es gefällt mir, dass man anhand der Arbeit verschiedene Zeithorizonte ablesen kann. Man reist von Ost nach West und von Nord nach Süd, kann das kontinuierliche Wachsen der Europäischen Union nachvollziehen, dabei aber auch immer wieder die Einflüsse der jeweiligen Gesellschaft auf die Grenzarchitektur ablesen. Durch die Vergleichsmöglichkeit innerhalb der seriellen Arbeit treten die national geprägten Besonderheiten der Grenzarchitekturen noch deutlicher zu Tage. Ich denke, die Serie übergang wird so selber zu einem Stück Zeitgeschichte.

Dass die Arbeit stärker als andere Serien an Arbeiten von Becher denken lässt, ist sicherlich kein Zufall. Mich hat das konzeptuelle Herangehen bei Becher fasziniert. Das war einer der Gründe, warum ich bei ihm studiert habe. Die Dokumentation ist sicher eine der Hauptaufgaben der Fotografie. Allerdings möchte ich diesen Aspekt in meiner Arbeit auch nicht überbewerten, aber für das Projekt übergang war er wichtig.

RM: Du gehst in der Serie übergang über die Dokumentation hinaus, durch das Abschwächen des Hintergrundes fokussierst Du auf die Grenzarchitekturen, setzt sie in Szene. Durch diesen Eingriff und die damit verbundene Irritation zwingst Du den Betrachter zum Innehalten.

JS: Dieses Innehalten ist mir wichtig. Ich versuche, in allen meinen Bildern einen Punkt zu erreichen, der zum Anhalten bewegt. Dieser Punkt der Irritation, die Fragen, die ein Bild aufwirft, ist auch in dieser Serie angelegt, durch den Eingriff in das dokumentarische Material. Der Betrachter soll die Bildkonzeption überprüfen können.

RM: Spielt das Motiv der Grenzüberschreitung im übertragenen Sinn auch auf die Frage nach den Grenzen der Fotografie, bzw. auf die Bedeutung der medialen Grenzüberschreitung in deiner künstlerischen Arbeit an?

JS: Die Frage nach den Grenzen der Fotografie stelle ich mir immer wieder. Ich glaube, die Fotografie hat die Funktion der klassischen Dokumentation unserer Wirklichkeit eingebüßt, das klassische Reportageformat wird immer seltener. Das beschreibende Element in der Fotografie geht, wie ich meine, etwas zurück. Für mich war diese Entwicklung einer der Gründe, mir ein neues Feld in der Fotografie zu suchen. Ich habe immer wieder die Beschränkung innerhalb der Fotografie erfahren. Die Wirklichkeit fügt sich nicht immer den Wünschen des Künstlers. Für mich und -meine Arbeit ist die Unabhängigkeit von diesen beschränkenden Elementen wichtig, insbesondere auch die Freiheit der Entscheidung, wie ich mit einem Bild verfahre. Insofern überschreite ich die Grenzen der klassischen Fotografie ganz bewusst.

RM: Kann man sagen, Du nutzt in dieser Arbeit die Unschärfe, den vernebelten Hintergrund, um die Wahrnehmung des Betrachters zu schärfen?

JS: Die Reduktion des Hintergrundes ist in erster Linie eine Freistellung und dient zur Hervorhebung des Übriggebliebenen. In dieser Serie war es mir wichtig, dass das Originalbild noch lesbar bleibt, deshalb bleibt die Umgebung im Hintergrund auch sichtbar, wenn auch zurückgenommen. Die Verortung bleibt dadurch erhalten.

RM: Welche Bedeutung hat die Fokussierung auf die eigentliche Grenzarchitektur für die Arbeit?

JS: Im Grunde genommen ist es ein Eingriff zu Gunsten des Bildmotivs und der Bildstruktur. Wie in den anderen Serien gebe ich meinen Bildern durch die Eingriffe eine Struktur vor. Ich versuche ein bestimmtes Stilmittel für die jeweilige Serie zu finden, konzentriere mich auf bestimmte Elemente, hebe Symmetrieachsen oder architektonische Elemente hervor, so dass im Endeffekt ein für mich stimmiges Gesamtbild entsteht.

RM: Du arbeitest gerne mit „Unorten“, mit Vorstadtarchitektur, Einkaufszentren, Lagerhallen oder eben Grenzübergängen, alles reine Zweckarchitekturen und eher unwirtlich. Was macht für dich die Faszination dieser banalen Architekturen aus?

JS: Insgesamt ist es das formale Chaos, das mich anzieht. Die innerstädtischen Architekturen sind für mich zu durchdacht, spiegeln zu sehr die Stadtplanung. In den Unorten findet man häufig chaotischere Strukturen, die sehr viel interessantere Momente ergeben. Das Unaufgeräumte, Chaotische ist als Ausgangsmaterial für mich spannender und auch authentischer.

RM: Aber diese chaotischen, vorgefundenen Strukturen bereinigst Du dann ja mittels Bildbearbeitung. Erschaffst Du hier nicht sogar eine neue Realität? Gerade Formen und sachliches bestechen durch ihre formale Strenge und ihre ganz eigene Ästhetik.

JS: Der Prozess der Transformation ist wesentlich für meine Arbeit. Er dient dabei vor allem dazu, die Aussage des Bildes zuzuspitzen. Bei Formen geht es vor allem um die dreidimensionalen Ausprägungen, den skulpturalen Aspekt. Bei sachliches stehen Farben und Strukturen, oder wenn man so will, die malerischen Elemente im Vordergrund. Aber auch bei übergang habe ich mich auf bestimmte Bildelemente konzentriert und diese verstärkt, bzw. in den Vordergrund gestellt. Dahinter steht der Versuch, eine Wirklichkeit zu schaffen, die mehr ist als das Ausgangsbild, als die vorgefundene Realität.

RM: Josef, Du arbeitest also ganz bewusst mit Brüchen der Realität?

JS: Der Bruch ist da ein schöner Begriff. Dadurch, dass ich eine sichtbar veränderte, meistens reduzierte Realität zeige, denkt man unwillkürlich darüber nach, wie es eigentlich sein müsste. Das ist ein schöner Moment. Diese Diskrepanz kann so letztlich ein inneres Bild erzeugen.

Architektur als Grenzfall

Andreas Schalhorn

„Im Übereinkommen von Schengen, besser bekannt als Schengener Abkommen, vereinbarten fünf europäische Staaten, auf Kontrollen des Personenverkehrs an ihren gemeinsamen Grenzen zu verzichten. Das Abkommen ist nach dem luxemburgischen Moselort Schengen benannt, wo es 1985 unterzeichnet wurde.

Das Schengener Abkommen wird … mittlerweile in 24 Ländern -Europas angewandt. Das sind 22 Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) sowie als Nicht-EU-Staaten zusätzlich Island und Norwegen. Von den EU-Ländern nehmen das Vereinigte Königreich und Irland nur eingeschränkt am Schengener Abkommen teil. Bulgarien, Rumänien und Zypern werden das Abkommen zu einem späteren Zeitpunkt anwenden. Die Schweiz als weiteres Nicht-EU-Mitglied wird voraussichtlich im November 2008 die Grenzkontrollen abschaffen.“

Quelle: Wikipedia*

 

Josef Schulz nimmt sich in der 2005 begonnenen Serie übergang einer besonderen Form architektonischer Setzungen an: Er fokussiert in seinen Fotografien die Architektur der Kontrollposten an jenen innereuropäischen Grenzen, die – da im -Gebiet der Staaten des Schengener Abkommens befindlich – nicht mehr benötigt werden und daher im Laufe der letzten drei Jahrzehnte aufgelassen wurden. Es sind die Bauten, an denen die Grenzkontrollen des Autoverkehrs erfolgten. Die weiteren Gebäude, die man an einem Grenzübergang bisweilen erwarten kann (Tankstelle, Wechselstube, Restaurant, weitere Zollgebäude), werden, sofern vorhanden, von Schulz weitgehend ausgeblendet oder rücken in den Hintergrund. Dieser Schritt der Ausblendung erfolgt, wie noch zu erläutern ist, auch über die digitale Bearbeitung des Bildmaterials.

Schulz setzt sich mit einem Gebäudetyp auseinander, der nur in Ausnahmefällen baukünstlerischen Gesichtspunkten gerecht wird. Grenzgebäude sind üblicherweise unspektakuläre Gebrauchsarchitektur. In manchen Fällen erkennt man Bezüge auf den traditionellen Baustil der Region, durch welche die Nationengrenze verläuft. Häufig jedoch lässt sich nur mehr von funktionellen Gehäusen sprechen, die im Extremfall gar Barackencharakter besitzen können. Ein Architekt wird selten überhaupt von Nöten gewesen sein. Grundlage war, besonders bei den nach dem Zweiten Weltkrieg gebauten Zollanlagen, vermutlich meistens die solide Planung von Statikern und Bauingenieuren.

Die künstlerische Fixierung von Josef Schulz auf die Grenzstation als Sonderform einer anonymen, meist unspektakulären Architektur macht den Unterschied zur kommerziellen Architekturfotografie aus, bei der etwa ambitionierte Neubauten im Auftrag der Architekten für Fachzeitschriften oder eigene Image-Publikationen ins beste Licht gerückt werden.

Als Fotograf der „Becher-Schule“, die an der Düsseldorfer Kunstakademie mit dem Wirken von Bernd Becher in den 1970er Jahren ihren Ausgangspunkt besitzt, steht Josef Schulz in einer besonderen Tradition. Nicht nur die bereits zu Klassikern gewordenen, typologisch angelegten Industriefotografien von Bernd & Hilla Becher wären hier zu nennen, sondern auch die von Thomas Ruff, Akademielehrer von Josef Schulz, gefertigten Fotografien der 1980er Jahre zu Wohnbauten, Parkhäusern oder Fabrikgebäuden, die meist Zeugnisse einer uninspirierten und standardisierten Nachkriegsmoderne sind. Auch bei anderen namhaften Fotokünstlern, die als Studenten die Becher-Klasse besuchten (Andreas Gursky, Axel Hütte, Thomas Struth, Boris Becker), spielt die mehr oder minder systematische Auseinandersetzung mit landläufig als unspektakulär erachteten Architekturen eine Rolle.

In der US-amerikanischen, konzeptuellen Fotografie wäre an Ed Ruschas Künstlerbücher der 1960er Jahre zu denken. Sein Band der Twentysix Gasoline Stations (1962) etwa besteht aus 27 Schwarzweiß-Reproduktionen von Tankstellen an der Route 66, also Bauten, die architektonisch ebenso unspektakulär und anonym sind wie die Grenzstationen in übergang.

Was Josef Schulz in dieser Serie festhält, sind letztendlich moderne Ruinen. Es sind Bauten, die durch Verlust ihrer Funktion sozusagen auf friedlichem Weg zerstört wurden. Auch wenn sie sich bislang einem Abriss oder einer Umfunktionierung entziehen konnten, so vegetieren sie doch häufig – ihrer Ausstattung beraubt – vor sich hin. Bisweilen finden sich noch die Schlagbäume oder Spuren einer die Bauten ursprünglich begleitenden Beschilderung, doch ist meist eine Entkleidung der Architektur festzustellen, die mit ihrem Bedeutungsverlust auf funktionaler Ebene einher geht.

Bei den Grenzgebäuden, vom kleinen Grenzposten am Straßenrand bis zur mehrspurigen Autoabfertigung, handelt es sich nicht um die denkmalhaften Relikte von historisch bedeutenden Repräsentationsbauten (wie etwa das Heidelberger Schloss oder der Aachener Dom), sondern um „Restposten“ ohne jeglichen touristischen Mehrwert. Dies verdeutlicht Schulz auf kongeniale Art und Weise durch die Menschenleere der übergänge. Sie entspricht nicht nur der traditionellen Gepflogenheit der Architekturfotografie, ihre Motive ohne ablenkende menschliche Staffage zu zeigen, sondern auch dem über ihren Funktionsverlust noch potenzierten Durchgangscharakter der von Schulz ins Bild gesetzten Grenzgebäude. Hier ist niemand mehr angehalten zu verweilen. Der Übergang mutiert zur Durchfahrt.

Doch bleiben die aufgelassenen Kontrollstationen die letzten, mehr oder minder erhaltenen Orte, die einer Erinnerung an die Zeit der festen Grenze mit Personen- und Warenkontrollen dienen können. Insofern sind sie über die künstlerische Fixierung bei Josef Schulz unspektakuläre und doch eindrucksvolle Denkmäler – als Zeugnisse eines noch anhaltenden Prozesses der jüngeren europäischen Geschichte, der sich nach der Auflösung des Ostblocks in der rasanten Erweiterung der Europäischen Union und der Übernahme des Schengener Abkommens artikuliert.

Will man die künstlerische Dimension der Fotografien von Josef Schulz vollends ermessen, so greifen die oben getätigten Verweise auf Vorläufer oder Weggefährten der jüngeren Fotokunstgeschichte zu kurz. Blickt man auf sein künstlerisches Schaffen von 1995 bis heute, so wird deutlich, dass für Schulz architektonische Themen immer wieder neu und konsequent in Serien hinterfragt wurden.

Die Beschäftigung mit Architekturen, die als anonym, funktional und ohne bewussten künstlerischen Anspruch zu bezeichnen sind, findet sich bereits in der Werkgruppe der 1995 und 1996 entstandenen Nachtarbeiten. Sie bestehen aus farbigen Nachtaufnahmen von erleuchteten Industrieanlagen, die aus einer gewissen Distanz von außerhalb der Sicherheitszäune angefertigt wurden. Es folgten in den Jahren 1999 bis 2001 die aus mehreren Bildern digital montierten, bei mittäglichem Licht aufgenommenen Panoramen französischer Einkaufszentren an den Stadträndern, der so genannten Centres Commerciaux. Sie brachten Josef Schulz 2001 den Europäischen Architekturfotografie-Preis der Zeitschrift db deutsche bauzeitung ein.

Ab 2001 entwickelt Schulz in den stilistisch miteinander verwandten Serien sachliches und Formen eine ihre architektonischen Motive auf klar konturierte Farb-Körper konzentrierende Fotokunst. Die dabei erfolgende digitale Bearbeitung, die einer abstrahierenden Verdichtung dient, spielt nun die entscheidende Rolle. Architektonische und landschaftliche „Unregelmäßigkeiten“ im fotografischen Rohmaterial werden am Computer entfernt oder abgemildert. Damit ist der dokumentarische Wirklichkeitsbezug gebrochen und die Fotografie entwickelt Bildräume, bei denen das reale Ausgangsmaterial nun in neuer Form an Intensität gewinnt.

In übergang geht Josef Schulz einen ganz neuen Weg, was den bildnerischen Ansatz anbelangt. Die topographisch randständige Architektur der Grenzgebäude wird von ihm nicht auf ihre abstrakten Farb- und Raumqualitäten hin gelesen und damit ihrer konkreten Verortung beraubt. Im Gegenteil gewinnt nun die Ebene des Dokumentarischen eine besondere Bedeutung. Die kürzelhaften Titel der Werke deuten an, dass Schulz eine generelle topographische Zuordnung der Bauten an bestimmte europäische Binnengrenzen wichtig ist. (Dabei bleibt allerdings im Einzelfall offen, ob bei einem Grenzübergang die Kontrollbauten beider Länder abgelichtet und bearbeitet wurden.)

Was das neue ästhetische, beziehungsweise fotokünstlerische Vorgehen von Josef Schulz angeht, so lässt es sich festmachen an einer besonderen Heraushebung des Zollgebäudes aus seiner Umgebung. Dies geschieht, indem letztere in ihren Farbwerten abgeschwächt und damit blasser wird, als liege sie hinter einem Schleier oder in einem feinen, homogenen Nebelfeld. Von diesem Fond setzt sich die eigentliche Grenzstation mit ihren intensiveren Farbwerten und Schattierungen deutlich ab – als architektonisches Individuum mit all seinen Spuren des Verfalls und der Zerstörung.

Was den baulichen Charakter der Grenzstationen angeht, so stehen ihnen in der Werkgruppe der Formen besonders jene zwischen 2002 und 2004 entstandenen Werke, die auf der Darstellung von Tankstellen und ihren Dachkonstruktionen beruhen, besonders nahe. Zu nennen wäre etwa Form #3 (2002), die auf der Darstellung einer in der Nähe der ehemaligen innerdeutschen Grenze von Dreilinden (Berlin) befindlichen, heute aufgelassenen Tankstelle basiert.

Im Vergleich hierzu aber ist, wie beschrieben, die Bildkonstruktion in übergang eine radikal andere. Schulz will die spezifische Situation eines Ortes, den Standort der Grenzstationen bei aller Abmilderung der Farb- und Lichtwerte noch erkennbar und nachvollziehbar lassen. Nur dadurch kann er den denkmalhaften Charakter der bei aller bloßen Zweckmäßigkeit in ihrer Formensprache häufig doch eigenwilligen Bauten herausarbeiten, dessen Fortbestand auf lange Sicht fraglich ist – und gerade deshalb der fotografischen und künstlerischen Erfassung bedarf. Dabei funktionieren die Werke von übergang nicht nur im Verbund der sukzessive entwickelten Serie, die ihnen als thematische Klammer dient, sondern auch als Einzelbilder. Gerade über die Wahl des großen Bildformats gelingt es Schulz, die dokumentarische Ebene, die durch das digitale Abwedeln bereits neu justiert ist, zu überhöhen. Jeder übergang ist für sich ein Historienbild, dessen Akteure nicht Menschen sind, sondern die von ihnen hinterlassenen Bauten als anonyme Skulpturen mit hohem Erinnerungswert. In ihnen und ihrer produktiven Nutzlosigkeit, die ihren Denkmalwert bedingt, spiegelt sich der Prozess der jüngeren europäischen Geschichte als Grenzerfahrung besonderer Art.

* Schengener Abkommen. In: Wikipedia, www.wikipedia.org, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand 5.4.2008.
Alle biografischen Angaben wurden zum Zeitpunkt des Stipendiums verfasst und haben keinen Anspruch auf Aktualität. Für nähere Informationen besuchen Sie bitte die Webseiten der Künstler:innen, sofern vorhanden und hier aufgeführt.