PayerGabriel, 2017
Der Katalog Cosmic Imperative. Payer Gabriel ist fertig!
Die kosmische Zwangsläufigkeit des Lebens
32. Kunst-Freitag in Friedrichshafen am 3. März 2017, 18 bis 24 Uhr
Das Wiener Künstlerpaar Payer + Gabriel erhält das Stipendium 2017 der ZF Kunststiftung
Micha Payer geboren 1979 in Wolfsberg; Martin Gabriel geboren 1976 in Linz; leben und arbeiten in Wien
Christine König Galerie, Wien
Kosmisches Treibgut
Silvia Höller
Die Bildwelten von Micha Payer und Martin Gabriel sind seit Jahren von einem komplexen interdisziplinären Denken geprägt. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, philosophische und psychologische Fragestellungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie soziologische oder kulturwissenschaftliche Bezüge. Sie bedienen sich der Speisekammer kultureller Vergangenheit und Gegenwart – mischen die hohe Wissenschaft mit populärwissenschaftlichen Ingredienzien. „Komplexität kennzeichnet unser Dasein und die Welt, in der wir leben. Alles Lebendige bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Chaos und Ordnung. Es folgt bestimmten Ordnungsprinzipien und Gesetzmäßigkeiten, welche uns auf mannigfaltige Weise bestimmen und beherrschen, vom Bauplan der Natur bis zum kulturellen Verhaltenscodex. Uns interessiert, wie sich Komplexität ästhetisch darstellt“1.
Das primäre Medium der beiden Künstler ist die Zeichnung, die stets in einem gemeinsamen Arbeitsprozess entsteht, ohne dass die Handschrift des einen oder anderen im Einzelnen erkennbar wäre. Seit ihrer Studienzeit leben und arbeiten sie zusammen. Der Dialog bestimmt ihre Arbeitsweise. Ihren Zeichnungen geht immer eine intensive Planungsphase voraus. Recherchen in Literatur und Internet werden gedanklich abgescannt und ausgelotet und mit persönlichen Überlegungen verwoben. Bis vor einiger Zeit wirkten ihre Arbeiten oftmals wie phänomenologische Bildstudien zu unterschiedlichen Themen, bei manchen jagte ein Rebus das andere. Die Bilderflut und Informationstechnologie unserer Gegenwart wurden sozusagen inhaltlich wie formal analog reflektiert. Mit Farbstift auf Papier setzten sie in einer kleinteiligen, grafisch äußerst präzisen Wiedergabe fragmentarische Aspekte eines Themenbereichs zu einem Netz von Assoziationen und Verknüpfungen collagenartig zusammen. Diese labyrinthische Struktur bricht das Künstlerpaar in den jüngeren Arbeiten auf. Die beiden extrahieren nun einen bestimmten Inhalt und ändern auch formal ihre Herangehensweise. Aktuell verwenden sie DIN-A4-Blätter, die sie bis auf einen schmalen weißen Rand ganzflächig mit farbiger Tusche grundieren. Diese Farbflächen bilden den Untergrund, auf den sie das jeweilige Motiv mit Bleistift zeichnen. Der Einsatz des weltweit gebräuchlichsten Standardformats DIN A4 steht einerseits für die fortschreitende globale Normierung und Standardisierung, andererseits entsteht dadurch ein Raster aus einzelnen Modulen, die als Puzzleteile beliebig wie zufällig neu geordnet werden können.
Bei ihrem Ausstellungsprojekt im Zeppelin Museum, das als Abschluss ihres mehrmonatigen Aufenthaltes in Friedrichshafen im Rahmen des Stipendiums der ZF Kunststiftung stattfindet, stehen gewissermaßen alltägliche wie ungewöhnliche Himmelsphänomene im Zentrum, die sie im metaphorischen Sinne deuten. Den Ausgangspunkt bildet der Eisenmeteorit Hraschina, der am 26. Mai 1751 im gleichnamigen Ort nahe Zagreb vom Himmel stürzte. Dieser Meteoriteneinfall zählt zu den ersten, die wissenschaftlich untersucht wurden, und das 39 Kilogramm schwere Eisenstück lieferte den Grundstein für die weltweit älteste und größte Meteoriten-Schausammlung im Wiener Naturhistorischen Museum. Payer Gabriel übertragen diesen Himmelsstein in eine überdimensionale, detailgetreue Bleistiftdarstellung, die sich aus 100 pastell-farbig grundierten DIN-A4-Blättern zusammensetzt.
Meteoriten sind Festkörper kosmischen Ursprungs, die nach ihrem Flug durch die Atmosphäre mit der Erde kollidieren. Sie repräsentieren das älteste Material unseres Sonnensystems und sind der einzige, direkte irdische Zugang zur Erforschung dessen Entstehungsphase 2. Geheimnisvolle Himmelskörper, die plötzlich und unerwartet effektvoll am Firmament erscheinen, um sogleich mit mächtigem Schall und Rauch auf die Erde zu knallen. Kein Wunder, dass solch seltene, spektakuläre Ereignisse die Phantasie der Menschen seit jeher beflügeln – gutes oder schlechtes Omen, Fruchtbarkeitssymbol oder Vorzeichen des nahen Weltuntergangs darstellen. Der Zugang ist in vielen Kulturen unterschiedlich und veränderte sich durch die Jahrhunderte. Die Rätselhaftigkeit der Meteoriten inspirierte Wissenschaftler, Künstler und Literaten gleichermaßen. Schon Albrecht Dürer beschäftigte sich mit astronomischen Erscheinungen und malte auf der Rückseite seines Gemäldes Büßender Hl. Hieronymus (um 1497) eine außergewöhnliche apokalyptische Himmelserscheinung, die in der Kunstgeschichte vielfach als die erste bekannte autonome Darstellung eines Kometen oder Meteoriten gilt. Auch wenn Meteoriten naturwissenschaftlich gesehen kaum noch Geheimnisse in sich bergen, so haben sie in der Kunst dennoch nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Für Micha Payer und Martin Gabriel sind Meteoriten Inbegriff des Fremden im Eigenen. „Der Mensch“, schreiben sie, „setzt sich physikalisch sozusagen aus Sternenstaub zusammen; es gibt wissenschaftliche Theorien darüber, dass Meteoriten die Grundbausteine für Leben auf die Erde gebracht haben. Dennoch ist der Meteorit ein Fremdkörper, der aus den Weiten des Universums zu uns kommt. Gleichzeitig ist er auch ein Unsicherheitsmoment, Inbegriff nicht nur des Fremden, sondern auch des Falls, insbesondere des Zufalls“ 3. So nennen sie ihre Zeichnungen Apologie des Zufälligen. Dieser Titel ist der gleichnamigen Schrift 4 des deutschen Philosophen Odo Marquard entnommen und dient außerdem als Überbegriff für eine umfangreiche Werkreihe von Zeichnungen, von denen mehrere in der Ausstellung gezeigt werden. Marquard unterscheidet in seiner komplexen Abhandlung zum Zufall zwischen dem Beliebigkeitszufälligen, das wir ändern können, und dem Schicksalszufälligen, das wir nicht ändern können. „Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl“5, lautet der viel zitierte Satz und meint, dass unser Leben mehr durch Schicksalszufälle als durch die viel beschworene freie Wahl bestimmt wird. Marquard ist dennoch der Überzeugung, dass der Zufall der Garant der menschlichen Freiheit sei. Denn jeder Versuch, menschliche Existenz in das Korsett einer Erlösungsideologie zu zwängen, also den Zufall auszuschalten, ende zwangsläufig im Totalitarismus. Frei nach Marquard gehören Meteoriteneinschläge zu Schicksalszufällen, die unsere Lebensumstände plötzlich und unerwartet wesentlich beeinflussen können.
Im Zyklus Apologie des Zufälligen spielt noch ein weiteres kosmisches Gestein eine Rolle: der Holsinger Meteorit. Dabei handelt es sich um ein Fragment des Canyon Diablo Meteoriten, der bei seinem Einschlag den gigantischen Barringer-Krater in Arizona / USA erzeugte. Erhalten sind nur mehr kleinere Teile – das bekannteste ist das Holsinger-Fragment, das Payer Gabriel in einer Serie von Zeichnungen aufgreifen. Mit dem Untertitel Doppelgänger zieht sich die genaue Bleistiftzeichnung jeweils über drei farbige A4-Blätter. Die scheinbar zufällig aufs Papier getropfte Tusche steht dabei im Kontrast zur exakten Zeichnung. Nur eine detektivische Betrachtung lässt erkennen, dass die Künstler den Meteoriten aus verschiedenen Perspektiven darstellen. Variationen desselben Motivs sowie das Prinzip der Wiederholung sind seit längerem ein zentrales Thema in ihrem Schaffen. Wiederholungen werden in der Kunst, sofern sie nicht als Wiedererkennung einer bestimmten künstlerischen Handschrift gewertet werden, vielfach mit Argwohn betrachtet: Sie erwecken Zweifel an der – im Geniekult des 19. Jh. verhafteten – Originalität, im Sinne des Einzigartigen, des Fortschritts, des Neuen. Doch gerade im Zeitalter von Copy-and-paste gewinnen Fragen nach dem Verhältnis von Original und Kopie, dem Stellenwert von Reproduktion oder Autorenschaft neue Aktualität. Nach dem österreichischen Philosophen Konrad Paul Liessmann geht es in der Kunst darum, „in der Wiederholung eine entscheidende Differenz und in der Differenz die Wiederholung sichtbar zu machen. […] Ist der Aspekt der Wiederholung nicht mehr zu erkennen, bleibt das übrig, was Kant einmal ‚originalen Unsinn‘ nannte – eine Einmaligkeit, die letztlich bedeutungslos bleibt.“ 6 Schließlich bestimmen Wiederholungen die Natur, nur deshalb lassen sich Gesetze ableiten. Sie strukturieren unsere Denk-, Handlungs- und Existenzweise und sind somit eine grundlegende Konstituente.
Ein zentrales Objekt der Ausstellung im Zeppelin Museum ist eine Skulptur – Monolithen und Idioten genannt – aus 28 Aluminiumabgüssen eines Treibholzstückes vom Bodensee. Treibgut, vom Schwemmholz bis zu Stoffstücken, greifen Payer Gabriel auch in anderen Zeichnungen der Serie auf. In Anlehnung an die Theorie der kosmischen Zwangsläufigkeit 7 des belgischen Biochemikers und Nobelpreisträgers Christian De Duve reihen sie beispielsweise in der gleichnamigen Zeichnung unterschiedliche Holzstücke wie chemische Elemente sorgfältig aneinander, als wollten sie eine biologische Systematik aufzeigen. In Monolithen und Idioten montieren Payer Gabriel Aluminiumabgüsse eines kleinen Holzstückes auf Stangen zu einer wolkenartigen Formation. Die metallische Schwere wird symbolisch mit dem Luftig-Leichten kombiniert. Das Motiv der Wolke – auch ihr Meteorit Hraschina zerbirst in der Ausstellung zu einem wolkenartigen Gebilde – sehen Micha Payer und Martin Gabriel als Metapher für unsere Zeit. Wolken sind der Inbegriff des Flüchtigen, des Kurzfristigen, des sich ständig Ändernden. Und welche Kategorien würden wohl besser den rasenden Wandel unserer Welt umkreisen? So betrachtet wird das Sinnbild der Wolke schnell zum sensiblen Seismografen gesellschaftlicher Befindlichkeiten. Durch die globale Verflechtung wird unsere Lebensrealität ständig komplexer und undurchschaubarer. Verbunden mit den auf ökonomischer Effizienz basierenden Arbeitsprozessen entsteht zunehmend das von Franz Kafka vorweggenommene Gefühl, die Welt werde von anonymen, in Hinterzimmern ausverhandelten Verfahren bestimmt, die sich nicht mehr steuern lassen. Überforderung macht sich breit und führt zum inneren Rückzug. In diesem Sinne dient Payer Gabriel die Figur des Idioten als Synonym für den gesellschaftlichen Außenseiter, der sich dem Kommunikations- und Konformitätszwang entzieht. „Die Arbeit kann als poetischer Verweis auf die Weltflucht verstanden werden. Mit der etymologischen Bedeutung des Titels und der symbolischen Aufgeladenheit des Fundstückes soll das Spektrum an Möglichkeiten und Perspektiven einer Weltflucht erschlossen werden. Weltabgewandtheit, Nichtteilhabe am sozialen Leben und Isolation können durch eine Gesellschaft erzwungen werden, die auf Anpassung abzielt, oder aber durch die Angst vor Neuem, Unbekanntem, Fremdem erwirkt werden. Und Weltflucht kann auch als Reaktion auf die zunehmenden Anforderungen einer globalisierten, hochkomplexen, totalvernetzten Welt, als Selbstschutz vor ihr, verstanden werden“ 8.